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A gmahte Wiesn – Tiroler Naturführer:innen im Naturpark Tiroler Lech

Der Naturpark Tiroler Lech hat nicht nur einen Wildfluss von internationaler Bedeutung zu bieten, sondern auch eine zumindest in Teilen arten- und strukturreich erhalten gebliebene Kulturlandschaft. Dazu mische man einen im Vergleich zum nasskalten Waldmodul hervorragenden Wetterbericht, eine hochmotivierte Gruppe und Top-Referent:innen – und schon könnte man von einer „gmaht’n Wiesn“ für das dritte Modul (Lebensraum Wiese) der Tiroler Naturführer:innenausbildung (Gruppe 2) sprechen. Bereits der erste Tag beginnt mit einer Kuriosität: Wir sind bezüglich Einwohnerzahl in der kleinsten Gemeinde Österreichs zu Gast! Gramais liegt in einem Seitental des Lechtals, eingenestet in eine dramatische alpine Landschaft mit schroffen Felswänden und tosenden Sturzbächen. Wir starten unsere kleine Wiesenrundwanderung mit Botanik-Expertin Cäcilia Lechner-Pagitz noch unter dichten Wolken und wandern in gewohnter Stop-and-Go-Manier einmal rund um den kleinen Ort, bis sich sich gegen Ende hin endlich auch die Sonne blicken lässt.

Cäcilia Lechner-Pagitz mit Rotblatt-Rose

Das seltene Alpen-Berghähnlein

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gleich zu Beginn erweitern wir bei der Besprechung der Rotblatt-Rose unseren Wortschatz um den botanischen Begriff „glauk“. In der Nähe des kleinen Heimatmuseums unterhalb des Dorfes beschäftigen wir uns allgemein mit der Diversität von Standortbedingungen und den speziellen Anpassungen in Morphologie und Physiologie der Pflanzen. Bei Stinkendem Storchschnabel, Braunem Storchschnabel und Wald-Storchschnabel können wir die drei Arten deutlich voneinander abgrenzen, erkennen aber auch genug Gemeinsamkeiten, die die Einordnung in die gemeinsame Gattung Geranium rechtfertigen. Allein der Straßenrand gibt uns genug Themen für eine vertiefte botanische Beschäftigung mit. Das seltene geschützte Alpen-Berghähnlein, die hochgiftige Herbstzeitlose und den noch giftigeren Bunte Eisenhut rühren wir erst gar nicht an, aber bei Arznei-Baldrian, Taubenkropf-Leimkraut und Wiesen-Kümmel darf wieder gerochen und gekostet werden. Weil man für eine vertiefte Beschäftigung mit Grünland nicht nur auf bunte Blüten schauen darf, sondern auch um einige wichtige Arten von Süßgräsern und die dazu gehörigen Begriffe nicht herumkommt, werden die Lupen gezückt und Halm, Ligula, Blattnervatur, Knoten und Zwischenknoten inspiziert. So fällt etwas später die Bestimmung von Ruchgras, Wiesenrispengras, Knäuelgras, Goldhafer, Mittlerem Zittergras und Fuchsschwanz nicht mehr ganz so schwer – die eigens dafür verwendeten Gräser-Lochkarten sorgen dafür, dass der Überblick im Gräserdschungel nicht verloren geht.

Die Herbstzeitlose ist stark giftig

Gräser unterscheiden lernen mit Lochkarten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit nun schon differenzierterem Wiesenblick stoßen wir auf eine steile Mähwiese oberhalb der Straße, deren Artenzusammensetzung auf eine weniger intensive Bewirtschaftung hinweist. Die charakteristische Magerwiesen-Margerite und die elegante Schwarze Akelei deuten auf wenig Düngung hin. Dazu gesellen sich volksmedizinisch geschätzte Heilpflanzen wie der Gemeine Augentrost, der Mittlere Wegerich und die Gemeine Schafgarbe. Diese Wiesen werden höchstens zweimal pro Jahr gemäht. Wir haben das Glück, sie Mitte Juni kurz vor dem ersten Schnitt in ihrer größten Blütenpracht zu erleben. Die Kopfige Teufelskralle, verschiedene Glockenblumen und der Kleine Wiesenknopf sind nur einige der Arten, die zum bunten Wiesenidyll beitragen. So schön und artenreich könnten unsere heimischen Mähwiesen sein, wenn wir nur das Problem der Überdüngung in den Griff bekommen würden. Der Zottige Klappertopf, der auf Wiesengräsern parasitiert, ist ein so genannter Halbschmarotzer – die Zarte Sommerwurz aus derselben Familie ist hingegen selbst gar nicht mehr zur Photosynthese fähig und zapft stattdessen ganz unverfroren Schmetterlingsblütler an.

Akelei auf Magerwiese

Der Mittlere Wegerich wird von Insekten bestäubt

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf den extensiv genutzten Wiesen sind Orchideen in großer Anzahl vertreten. Das Große Zweiblatt wirkt auf den ersten Blick unscheinbar, das Fuchs-Knabenkraut ist mit seinem rosa Blütenstand und den gefleckten Blättern schon auffälliger. Die Wohlriechende Händelwurz prägt sich mit ihrem betörenden Geruch ins Gedächtnis. All diese Arten haben winzig kleine Samen, die nur in Symbiose mit Pilzen zu keimen und das „Licht der Erde“ zu erblicken vermögen. An einer trockeneren Stelle probieren wir den Bestäubungsmechanismus des Wiesen-Salbeis aus und kosten wilden Thymian.

Wiesenwanderung durch artenreiche Kulturlandschaft

Elemente einer traditionellen Landbewirtschaftung

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Abend mit dem Entomologen Kurt Lechner, der seit vielen Jahren den Natopia Erlebnisunterricht zum Thema Insekten konzipiert und betreut und die Sechsbeiner auch wissenschaftlich bearbeitet, steht eine Einführung in die Welt der Sechsbeiner auf dem Programm. Ziel ist es, bei der Abendeinheit im Gemeindezentrum Elmen genügend Grundverständnis zu vermitteln, um am nächsten Tag bei der Exkursion an den Lech darauf aufbauen zu können und Insekten auch eigenständig beobachten und erforschen zu können. Insekten, die seit etwa 400 Millionen Jahren die Erde bewohnen, beeindrucken schon allein durch ihre Formen- und Artenvielfalt. Fast eine Million Insektenarten wurden bisher beschrieben (Schätzungen gehen von bis zu 30 Millionen Arten aus), damit verkörpern sie 60 Prozent des tierischen Artenreichtums. In Österreich gibt es etwa 37.000 Arten, mehr als im angrenzenden und flächenmäßig viel größeren Deutschland. Den Löwenanteil der Vielfalt stellen die Ordnungen der Käfer, Schmetterlinge, Hautflügler und Zweiflügler, wobei es besonders bei letzteren beiden Gruppen noch große Wissenslücken gibt. Anscheinend beschäftigen sich auch Wissenschaftler:innen lieber mit Schmetterlingen als mit Mücken! Jedes Jahr werden weltweit mehrere tausend Insektenarten neu beschrieben. Die traurige Seite der Vielfalt ist, dass jährlich im Zuge des anthropogenen („menschgemachten“) Massenaussterbens eine noch viel größere Zahl an Insekten für immer verschwindet. 40 Prozent aller Insektenarten sind laut einer australischen Metastudie vom Aussterben bedroht, und der Rückgang in den Populationsgrößen ist noch erschreckender. Viel internationale mediale Aufmerksamkeit hat die sogenannte „Krefeld-Studie“ erhalten, welche auf Biomasseaufnahmen fliegender Insekten in Schutzgebieten (!) über fast drei Jahrzehnte aufbaut. Die Biomasse fliegender Insekten hat im Beobachtungszeitraum um 76-81 Prozent abgenommen! Diese und andere Veröffentlichungen und Kampagnen haben dazu geführt, dass nach dem Klimawandel nun auch der weltweite Lebensraumverlust und das globale Artensterben langsam in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rutschen. Nicht nur für Insektenfreund:innen, sondern für alle Menschen hat diese Entwicklung viel Gewicht. Insekten verarbeiten organisches Material, bestäuben 90 Prozent der Blütenpflanzen, sind an vielen Stellen in die Nahrungsnetze eingebunden und damit wichtige ökologische Regulatoren. Mit der Effizenz einer Hummel, die in hundert Minuten 2.600 Blüten bestäubt, werden die menschlichen Obstbaum-Bestäuber:innen in Chinas „Bestäuberwüsten“ nicht mithalten können. Im Anschluss an die allgemeine Einführung werden die wichtigsten Gruppen von Insekten kurz angesprochen, bevor der allgemeine Körperbau dieser Tiergruppe behandelt wird: der dreigeteilte Körper mit sechs Beinen am Brustteil (Thorax), die zeitlich hochauflösenden Facettenaugen (bestehend aus bis zu jeweils 30.000 Einzelaugen bei Libellen), die Stigmen genannten seitlichen Öffnungen des Tracheensystems zur Atmung, das Exoskelett (Panzer unter anderem aus Chitin), um nur einige Grundmerkmale zu nennen. Gegen Ende des Abends gelingt es Kurt, die langsam eintretende Müdigkeit mit großartigen Präparaten heimischer und tropischer Insektenarten – von winzig klein bis riesengroß – nochmal zu vertreiben.

Kurt Lechner hat immer eine Überraschung parat

Exkursionsgebiet am Lech

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Den Großteil des darauffolgenden Tages verbringen wir in Forchach, wo wir auch Gelegenheit haben, die im Zuge eines großen Renaturierungsprojekts durchgeführte Flussbettaufweitung von 2020 zu begutachten und die neu gebaute Hängebrücke zu beschreiten. Nun ist hier die wichtige Verbindung zweier vormals durch einen „Flaschenhals“ voneinander abgetrennten Wildfluss-Abschnitte bei Forchach und Weißenbach ersichtlich – Flussuferläufer und Flussregenpfeifer freuen sich. Schon während der Wanderung zum angepeilten Standort gibt es allerlei zu entdecken. Dass Schmetterlinge mit ihrem ausrollbaren Rüssel nicht nur Nektar trinken, zeigt der Baldrian-Scheckenfalter, der sich gerade an einem Kuhfladen am Straßenrand labt. Am flachen Quellgewässer am Wegesrand wollen wir gleich mit Insektenkeschern auf Beutefang gehen aus. Hier erhoffen wir uns einige häufige und seltene Libellenarten, müssen allerdings aufgrund der für die Jahreszeit untypisch kühlen Bedingungen unsere Erwartungshaltung etwas zügeln. So stellen wir den Fokus etwas feiner ein und entdecken allerhand Interessantes im Detail. Auch häufige Arten wie der Gartenlaubkäfer oder die Wanderschwebfliege geben bei vergrößerter Betrachtung einiges her. Die Kleinschmetterlinge Graszünsler und Federgeistchen sind klein, aber oho, genauso wie der Gartennützling Florfliege und die harmlose Skorpionsfliege. Grünrüssler und Pinselkäfer sind häufige, in vielen verschiedenen Lebensräumen vorkommende Vertreter der artenreichsten Insektenordnung. Blutströpfchen und Blutzikade stellen ihre Giftigkeit mit Rot als Warnfarbe selbstbewusst zur Schau und lassen sich so besonders leicht einfangen.

Insekten-Exkursion mit Keschern und Sammelbehältern

Zuordnung der Funde

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Obwohl wir uns beim Luambachl am Rand des Rotföhren-Trockenauwalds in erster Linie mit Bestimmungsübungen und der Besprechung einzelner Arten beschäftigen, kommt Kurt um ein kurzes Plädoyer zum Thema Landwirtschaft nicht herum. Als Insektenfreund seit Kindheitstagen hat er das schleichende Artensterben und den dramatischen Rückgang der Populationen selbst miterlebt. Der Verlust an Strukturelementen in der Landschaft, der Rückgang der Pflanzenvielfalt durch Überdüngung und intensive Nutzung (u.a. zu häufige Mahd) sowie der verbreitete Einsatz von Pestiziden haben deutliche Spuren hinterlassen. Vereinzelte Blühstreifen in Vorgärten werden dieses gesellschaftliche Problem nicht lösen können, daher führt laut Kurt kein Weg an einer groß angelegten Agrarreform vorbei. Auch den im Trend stehenden Saatmischungen für Bienen und Schmetterlinge steht unser Insektenexperte skeptisch gegenüber, da meist standortfremdes Saatgut mit wenig passenden Arten zum Einsatz kommt. Außerdem brauchen selten gewordene Schmetterlingsarten ja nicht nur Nektar, sondern sind als Raupe oft an eine spezifische Futterpflanze gebunden. Unterdessen drehen die befüllten Sammelgefäße und Becherlupen die Runde und sorgen für große Augen, während die Ohren für Kurts Hintergrundwissen offenstehen und Zusatzinformationen aufsaugen.

Auch der häufige Pinselkäfer ist bei genauer Betrachtung sehr beeindruckend

Optische Hilfsmittel geben neue Details zu erkennen

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf dem Weg zum Lechufer und den Schotterbänken zwingt uns die Deutsche Tamariske, durch ihre Spezialisierung auf die Wildfluss-Dynamik eine botanische Rarität im Alpenraum, zu einem kurzen Exkurs ins Pflanzenreich. Auch an der Orchideenvielfalt im Schneeheide-Rotföhrenwald können wir nicht einfach so vorbeilaufen. Ein Höhepunkt ist hier die Blüte der Fliegen-Ragwurz, einer so genannten Insektentäuschblume, die mit Form, Farbe und Geruch vor allem Wespen anlockt, ohne im Gegenzug Nektar anzubieten. Auf der Schotterbank angekommen, lassen wir den Blick ein letztes Mal über die beeindruckende Wildflusslandschaft schweifen.

Die Fliegen-Ragwurz ist eine Insektentäuschblume

Tropische Gespenstschrecken zum Anfassen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Während der Nachmittagsstunden ziehen wir uns nach stärkender Pause nochmals in den Gemeindesaal zurück mit dem Vorhaben, die Kerninhalte nochmals zu festigen. Kurt vermittelt in einer Präsentation den Überblick über die wichtigsten heimischen Insektenordnungen und deren anatomischer Unterscheidungsmerkmale, damit die Wanze auch Wanze bleibt und nicht zum „Stinkkäfer“ oder „Feuerkäfer“ wird. Mittels Präparaten und Bildern wird die Bestimmung auf Ordnungsniveau geübt. Für große Augen und etwas Nervenkitzel sorgen die lebenden Exemplare tropischer Gespenst- und Stabschrecken, mit denen die Kursteilnehmer:innen auf Tuchfühlung gehen können. Diese gehören zu den größten Insektenarten weltweit, wodurch auch der allgemeine Körperbauplan der mannigfaltigen Sechsbeiner besonders gut ersichtlich ist. Ob Insekten nun die heimlichen „Herrscher der Erde“ sind oder nicht, uns haben sie mit ihrer Formen- und Farbenvielfalt jedenfalls ganz in ihren Bann gezogen!

Vor dem Abendessen sind wir noch im neuen Naturparkzentrum Elmen zu Gast, welches die spannende Dauerausstellung „Der Letzte Wilde“ beherbergt. Nora Schneider vom Naturpark Tiroler Lech erzählt von den naturkundlichen Besonderheiten ihres Einsatzgebiets und stellt einige der Schwerpunkte der Naturparkarbeit vor.

Am Samstagmorgen sind wir bei der Hammerschmiede in Vils mit der Biologin Caroline Winklmair verabredet, ihres Zeichens Schutzgebietsbetreuerin im Lechtal und eine der Biberbeauftragten des Landes Tirol. Sie nimmt uns mit auf eine spannende Tour durch „ihr“ Biberrevier – kurioserweise genau jenes Gebiet, aus dem vor gut 200 Jahren der letzte Biber Tirols entnommen wurde. Den vielfältigen Ursachen für die Ausrottung wollen wir im Verlauf der Führung nachgehen. Seit wenigen Jahrzehnten erlebt der Biber entlang der Tiroler Wasserläufe ein grandioses Comeback. Bevor wir in den vom Biber landschaftlich deutlich umgestalteten Bereich an der renaturierten Vils kommen, beobachten wir zum Vergleich einen schneller fließenden, weniger strukturreichen Flussabschnitt. Daraufhin werden wir Schritt für Schritt tiefer in die Welt des Bibers eingeführt, begleitet von den Zeichen am Weg, für die uns Caroline sensibilisiert. Nach den keil- und kegelförmigen Bissspuren an gefällten Ufergehölzen erreichen wir einen so genannten Nebendamm, der dem Biber hilft, Nahrungsquellen besser und sicherer zu erschließen, ohne sich je weit vom Wasser weg bewegen zu müssen. Studien aus Bayern bezüglich der Fischbestände in Biberrevieren haben gezeigt, dass sich in Folge der Bibertätigkeit Artenvielfalt und Populationsdichten steil nach oben entwickeln, und ähnliche Studien deuten auf einen allgemein positiven Einfluss der Bibertätigkeit auf die Biodiversität hin. Auch wir Menschen hätten grundsätzlich das Potenzial, als Lebensraumgestalter und -pfleger eine ähnliche Rolle auf diesem Planeten einzunehmen (wie die wunderschönen Bergmähder in Gramais eindrucksvoll gezeigt haben) – noch sind wir von diesem ehrgeizigen Ziel allerdings Lichtjahre entfernt.

Caroline Winklmair mit „ihrem“ Biber

Expedition ins Biberrevier

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir verlassen den Weg und erkunden weglos die üppige Au. Dort stiehlt kurzerhand ein kurioser Parasit dem großen Nagetier die Show. Der Plattwurm Leucochloridium befällt die Stielaugen von Schnecken und verwandelt diese in surreal anmutende, leuchtend pulsierende „Disco-Zombies“, die wie ferngesteuert ins helle Tageslicht wandern, um sich dort als Vogelfutter zu präsentieren. Für die Schnecken makaber, für den Wurm ein geglückter Wirtswechsel. Zurück beim Biber beschäftigen wir uns anhand verschiedener Präparate mit den Besonderheiten von Gebiss und Fell des ganzjährig aktiven Pflanzenfressers. Wo die Gewässertiefe unter natürlichen Bedingungen den Ansprüchen des Bibers bezüglich seiner Wohnsituation nicht gerecht wird, hilft er mit dem Hauptdamm nach. Unsere Tour gipfelt am Mittelbau, wo wir Interessantes über die Bauten und Familienstruktur des Bibers erfahren. Caroline ist überzeugt, dass durch Aufklärung in der Bevölkerung viele Biber-Vorurteile ausgeräumt werden können und so mancher wahrgenommene Interessenskonflikt dadurch im Keim erstickt werden kann.

Parasitärer „Disco-Wurm“ befällt Stielaugen von Schnecken

Hauptdamm unterhalb des Biberbaus

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Bereich des Keltischen Baumkreises, wo wir inmitten der beeindruckenden Blütenvielfalt der Magerwiese die Mittagspause genießen, treffen wir am Nachmittag den pensionierten Biologielehrer und Natopia-Urgestein Hubert Salzburger. Er hat neben dem Imkern, Gärtnern und der Naturkunde im Allgemeinen eine besondere Leidenschaft für die Makrofotografie von Blüten und deren Besuchern. Später werden wir noch tiefer in diese faszinierende Welt eintauchen, aber vorher wollen wir noch kurz mit Hubert in der artenreichen Magerwiese zwischen den Bäumen aus dem Vollen schöpfen. Er hat zu beinahe jeder Art Geschichten auf Lager, von der Namensherkunft über Verwendung oder Giftigkeit bis hin zu ökologischen Besonderheiten. Gleich zu Beginn des Spaziergangs bekommen wir mit der aufblühenden Türkenbundlilie und der Großen Sterndolde zwei Schönheiten präsentiert. Das unscheinbare Große Zweiblatt mit seiner Nektarrinne, welches von Wespen bestäubt wird, leitet den Orchideenreigen ein – Mücken-Händelwurz und Fuchs-Knabenkraut bieten rosa Akzente und spannende Hintergrundgeschichten. Wiesen-Witwenblume, Knäuel-Glockenblume und Berg-Flockenblume leiten auf lila und violett über. Sowohl Blütenfarbe als auch -form erlauben Rückschlüsse auf die Co-Evolution mit Insekten. Die Rote Lichtnelke darf „begrapscht“ werden und dient als Beispiel für zweihäusige Blütenpflanzen, bei denen männliche und weibliche Blüten auf unterschiedlichen Individuen zu finden sind.

Hubert Salzburger mit Beinwell

Das Maiglöckchen wird manchmal mit Bärlauch verwechselt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Den Vortrag im verdunkelten Gemeindesaal starten wir mit Bildern, die fast aus einer anderen Welt zu kommen scheinen – in Wirklichkeit sind viele davon in Huberts überschaubarem Garten entstanden. Es ist aber nicht nur die ästhetische Schönheit, die ihn zu dieser Beschäftigung bringt, sondern auch das Studium und Verständnis der faszinierenden Wechselbeziehungen zwischen Blütenpflanzen und ihren Bestäubern – eines der offensichtlichsten und bekanntesten Beispiele für Co-Evolution. Viele sind es gewohnt, beim Thema Bestäubung sofort an die Honigbiene zu denken. Oft wird dabei vergessen, dass eine Vielzahl von Insektengruppen diese ökologische Funktion übernimmt: Wildbienen (mehr als 600 Arten in Österreich!), Schmetterlinge, Fliegen, Wespen, Ameisen und Käfer sind an jeweils unterschiedliche Blütenformen angepasst. Die Form eines bestimmten Blütentyps erlaubt also Rückschlüsse auf die Anatomie und das Verhalten der jeweiligen Bestäuber. Für die auffälligen und großen Scheibenblüten verwendet Hubert gerne die Metapher des Fast-Food-Restaurants („viel Werbung, alle willkommen“), während die Röhrenblütenform mit ihrer erschwerten Zugänglichkeit zum Nektar eher das Bild eines exklusiven Feinschmeckerlokals mit Mitgliedskarte aufkommen lässt (langer Rüssel als „Eintrittskarte“). Auch Schalenblüten, Lippenblüten, Glockenblüten und Stieltellerblüten haben jeweils Vor- und Nachteile und komplexe mutualistische Beziehungen mit ihren Bestäubern. Doch nicht immer muss die Interaktion von beiden Parteien gewollt sein: Wir erfahren vom „Insekten-Kidnapping“ des Frauenschuhs und dem „Nektardiebstahl“ durch Hummeln. Wer sich von Huberts Bildern verzaubern lassen will, ist auf https://my-flower.net/ willkommen!

Silvia Hirsch genießt den Weitblick

Höckerschwäne sind sehr territorial

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Sonntag haben wir mit der Pflacher Au einen wassergeprägten Lebensraum als Exkursionsgebiet auf dem Programm. Silvia Hirsch hat in ihrer Laufbahn zwischen Pädagogischer Akademie und Innsbrucker Alpenzoo genug Praxiserfahrung sowohl mit Vermittlung als auch mit Tieren gesammelt, um der Gruppe einen niederschwelligen Einstieg in die faszinierende Vogelwelt zu bieten. Der Treffpunkt im Schatten des 18 Meter hohen Vogelbeobachtungsturms ist gut gewählt. Die Erstannäherung an die Vögel erfolgt über ihre Stimmen. Neben den vor allem für das Frühjahr typischen Gesängen zur Partnerfindung und Revierabgrenzung sind ganzjährig artspezifische Warnrufe zu hören. Da unser Gehirn dazu verleitet ist, ungefährlich klingende Hintergrundgeräusche einfach auszublenden, erinnern wir uns bewusst daran, die Lauscher weit aufzusperren. Vogelkundler:innen wissen sich mit Merksätzen und Vergleichen zu helfen, um im Stimmenwirrwarr den Überblick zu behalten. Vom „würzigen Bier“ des Buchfinks und dem „zerbrochenen Glas“ des Hausrotschwanzes über die „Wiederholungstäterin“ Singdrossel bis hin zu Vögeln, die ihren eigenen Namen singen (Zilpzalp, Kuckuck, Uhu), reicht die Palette der Eselsbrücken. Regionale Dialekte, die es auch in der Vogelwelt gibt, machen die Auseinandersetzung noch interessanter.

Die Pflacher Au vom Vogelbeobachtungsturm aus

Flussregenpfeifer auf den Schotterbänken erspäht

 

 

 

 

 

 

 

 

Für eine Beobachtungsaufgabe suchen sich die Kursteilnehmer:innen – mit Fernglas und einem Vordruck ausgestattet – einen passenden Platz im Feuchtgebiet. Ziel ist es, nur durch aufmerksame Beobachtung so viele Eigenschaften wie möglich einer Vogelart zu sammeln, ohne deren Namen zu kennen. Bei der Besprechung kommen gleich zwei typische Arten des Feuchtgebiets zur Sprache. Mehrere Graureiher in einem Sitzbaum und schwimmende Reiherenten mit typischem Schopf erleichtern durch ihre Größe die Beobachtung der wichtigen Merkmale. Die Präzision der Beschreibungen überrascht allerdings sogar unsere Referentin. Auch die kleineren Arten Kohlmeise, Buntspecht und Mönchsgrasmücke haben ihren aufmerksamen Beobachter:innen die entscheidenden Erkennungsmerkmale in Bild und Ton offenbart. Die Mehlschwalben und Mauersegler waren selbst von der Spitze des Vogelbeobachtungsturms aus schwieriger zu beobachten, da sie ohne Flugpause in mittlerer Höhe über der Wasserfläche jagen. Aus der Höhe verschaffen wir uns einen Überblick über das Feuchtgebiet, das vor Leben nur so strotzt. Die Wasserflächen sind umgeben von Schilfrohr- und Rohrkolbenbeständen und teilweise von Seerosen bedeckt. Zum Abschluss des ornithologischen Vormittags werden an den Schotterbänken des Lech nochmal die Ferngläser gezückt – wir nehmen uns alle Zeit und Muße für die ausgiebige Beobachtung des seltenen Flussregenpfeifers.

Trittsiegel verschiedener heimischer Arten zum Vergleich

Exuvie einer Großlibellenart

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Beobachtung von Säugetieren in freier Wildbahn gestaltet sich noch schwieriger als bei Vögeln, besonders in Gruppensituationen. Erstens haben die meisten Arten ihren Aktivitätshöhepunkt in der Dämmerung und der Nacht, und zusätzlich sind sie oft auch noch scheu, haben hervorragende Sinnesorgane und nehmen uns meist lange wahr, bevor wir die Chance auf Beobachtung haben. Über das Studium von Trittsiegeln und Fährten können wir allerdings auch scheue Tiere mitten in unsere Naturführungen hereinholen, ohne sie direkt zu Gesicht zu bekommen. Wie intensiv die Pflacher Au als Naherholungsgebiet genutzt wird, zeigen die zahlreichen Spuren der aufrecht gehenden Zweibeiner und ihrer vierbeinigen besten Freunde. Bei unserer Suche quer durchs Augebiet spielen allerdings die Fraßspuren und Hinterlassenschaften kleinerer Tiere die Hauptrolle. Wir stoßen auf die sogenannten Ananasgallen der Großen Fichtengalllaus, die kunstvoll anmutenden Gänge von Minierfliegen und -motten und die Fraßspuren von Schnecken und Blattkäfern. Auf verschiedenen Weidenarten findet ein regelrechtes Massenauftreten des Gefleckten Weidenblattkäfers statt – sowohl Puppenhäute als auch Imagines (adulte Insekten) sind in großer Zahl auszumachen. Vor allem die Zweige der Roten Heckenkirsche sind mit Wollläusen übersät. Die „Schaumparty“-veranstaltenden Larven der Wiesen-Schaumzikade sind uns bereits in Gramais öfters aufgefallen. Am Boden finden wir von Eichhörnchen und Mäusen abgenagte Fichtenzapfen und lernen die Unterscheidung derselben. Schwanen- und Entenfedern erkennen wir an Farbe und Größe. Auch der Biber hat wieder beeindruckende Nagespuren im Gelände hinterlassen – fast kein Baum ist ihm zu dick!  Außerdem finden wir die Überreste eines Signalkrebses, die Exuvie einer Großlibellenart und das Gehäuse einer Sumpfdeckelschnecke – und leider auch einige nicht biologisch abbaubare Hinterlassenschaften der zweibeinigen „Krone der Schöpfung“. Wir lassen den Tag wieder im Schatten des Vogelbeobachtungsturms ausklingen mit den tollen Präparaten und Anschauungsmaterialien zu Vögeln und Säugetieren, die Silvia im Kofferraum mitgebracht hat.

Im Naherholungsgebiet stoßen wir leider auch auf viele Zweibeiner-Spuren

Ordnung schaffen im Spurenwirrwarr

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir blicken dankbar zurück auf vier inhalts- und erlebnisreiche Tage im Naturpark Tiroler Lech, und mit Vorfreude nach vorne in Richtung Gebirgsmodul im Nationalpark Hohe Tauern. Was diese beiden heute nicht mehr wegzudenkenden Schutzgebiete gemeinsam haben, ist eine Gründungsgeschichte, die direkt aus dem Widerstand gegen Großprojekte der Wasserkraft-Industrie hervorgegangen ist – Krise als Chance!

 

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