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Jungzirbe Im Moospolster

Wald voller Wunder – Tiroler Naturführer:innen im Naturpark Ötztal

Der Wetterbericht sagt Durchwachsenheit, Regen und Wintereinbruch für’s Waldmodul voraus – er soll Recht behalten! Doch die Forscherlaune der Teilnehmer:innen lässt sich von ein bisschen Wasser in verschiedenen Aggregatzuständen nicht einbremsen, und wir erkunden trotz Wetterkapriolen motiviert den Lebensraum. Bevor wir in den Naturpark Ötztal reisen, beginnen wir das Modul zum Lebensraum Wald an einem für Tirol einzigartigen Standort. Die angehenden Naturführerinnen und Naturführer treffen sich beim Naturdenkmal Stamser Eichenwald. Eine Kombination von Faktoren, darunter die Besitzverhältnisse und die Schutzwaldfunktion, hat dazu geführt, dass sich hier ein Relikt der Hartholz-Trockenau erhalten konnte. Dieser Lebensraumtyp ist anderswo im Inntal längst der Besiedelung und Gewinnung von Landwirtschaftsflächen zum Opfer gefallen. Jahrhundertealte Stiel-Eichen erfreuen hier genauso das Auge wie imposante Winter-Linden und seltene Berg-Ulmen.

Bodenökologin Julia Seeber von der Universität Innsbruck lenkt zum Einstieg in die Waldeinheit die Aufmerksamkeit nach unten. Bevor wir den Boden auf seine Bewohner hin untersuchen, werden die Grundlagen der Bodenbildung erklärt. Im Alpenraum blicken die Böden auf eine höchstens 10.000-jährige Geschichte zurück – den eiszeitlichen Hobel hat kein vorher entstandener Boden überstanden. An unserem Standort im Schatten der Stamser Eichen muss die Bodenbildung auch in jüngerer Vergangenheit immer wieder gestört worden sein. Bei einer Probebohrung mit dem Bohrstock später am Vormittag stoßen wir schon bald unterhalb des organischen Auflagehorizontes auf grobes Geröll. Trotz geringer Bodenmächtigkeit scheint die Streuschicht jedoch gut belebt zu sein. Beste Voraussetzungen für eigenständiges Erforschen!

Julia Seeber, Bodenökologin

Bänderschnecke

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit einfachster Ausrüstung machen wir uns daran, die dicke Laubstreu des Eichenmischwaldes genauer unter die Lupe zu nehmen. Bevor aber das große Suchen nach den Tieren losgehen darf, halten wir Ausschau nach deren Fraßspuren und den Zeichen mikrobieller Aktivität auf den Blättern der Streuschicht. So entsteht ein geordnetes Inventar verschiedener Zersetzungsstadien. Damit später eine eigenständige Zuordnung der eigenen Funde zu den auf der natopia-Bodentiere-Plane abgebildeten Tiergruppen möglich ist, müssen zuerst die Grundbegriffe geklärt und die wichtigsten Kategorien abgesteckt werden. Von Regenwürmern, Fadenwürmern, Schnecken, Zweiflüglerlarven über die verschiedenen Insektengruppen bis hin zu Spinnentieren und Tausendfüßern reicht die Palette der typischerweise zu erwartenden Funde.

Es sind nicht nur die oft zitierten Regenwürmer, die durch ihre Lebensweise als Destruenten und Bioturbatoren viel zur Funktion und Gesundheit der meisten terrestrischen Lebensräume beitragen und auch für den landwirtschaftstreibenden Menschen von enormer Bedeutung sind. Eine ganze Schar von Organismengruppen in der Streu und im Boden ist zu unterschiedlichen Zeitpunkten am Abbau der anfallenden toten organischen Substanz beteiligt. Wir finden zum Beispiel verschiedene Vertreter der Gruppe der Tausendfüßer: pflanzenfressende Schnurfüßer und carnivore Hundertfüßer. Asseln haben aber eine ganz andere Verwandtschaft – als landlebende Krebstiere sind sie an sehr hohe Luftfeuchtigkeit gebunden und finden sich daher niemals im ungeschützten Sonnenlicht. Beeindruckend sind Größe und Lebenszyklus der Holzwespen-Schlupfwespe, die ein Teilnehmer einem Baumstumpf entlockt.

 

Die Holzwespen-Schlupfwespe ist beeindruckend

Koordinationskünstler Schnurfüßer

 

 

 

 

 

 

 

 

In der artenreichen Klasse der Insekten bilden wiederum die Käfer jene Ordnung, welche die weltweit größte Artenvielfalt (350.000 beschriebene Arten!) aufweist. Wir stoßen unter anderem auf einen Laufkäfer und die „Drahtwürmer“ genannten und bei Bauern gefürchteten Larven der Schnellkäfer. Der Hirschkäfer, eine biologische Rarität in Stams nach erfolgreichem Wiederansiedelungsprojekt, bleibt unserem Forscherblick verborgen. Eine Größenordnung kleiner, aber nicht weniger faszinierend, sind die winzigen Springschwänze, die als Indikator für eine lockere Bodenstruktur gelten.

Nach einer stärkenden Mittagspause unter alten Bäumen sind wir mit Andreas Pohl, Leiter der Bezirksforstinspektion Imst, verabredet. Mit ihm drehen wir eine kleine Runde durch das Gebiet des Naturdenkmals „Stamser Eichenwald“ – diesmal gilt die Aufmerksamkeit in erster Linie forstlichen Aspekten und, auf den Standort Bezug nehmend, den Bemühungen im Schutzgebietsmanagement. Wir kommen auf die vier vorrangigen Funktionen des Waldes für den Menschen zu sprechen (Nutzung, Schutz, Wohlfahrt, Erholung), und Andreas teilt viele Geschichten über diverse Interessenskonflikte aus dem forstlichen Alltag. Besonders muss sich die Fortwirtschaft als ein auf Nachhaltigkeit und langfristige Zielsetzungen ausgerichteter Wirtschaftszweig mit den Herausforderungen einer Welt im Wandel auseinandersetzen. Gleich vom Sportplatz aus haben wir eine gute Aussicht auf einen schwer in Mitleidenschaft gezogenen Schutzwald südlich von Stams. Die Fichte ist besonders außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes anfällig für Windwurf und Schädlingsbefall, und dieser Umstand wird mit dem Klimawandel und der Tendenz zu heißen Sommern und ausgedehnten Trockenphasen nicht besser – ganze elf Hektar sind hier schwer betroffen. Wenn man bedenkt, dass bereits für 2050 für den Bezirk 3-4 Grad Celsius Temperaturerhöhung und 60 mm weniger Jahresniederschlag, der sich zudem noch an den Rand der Vegetationsperiode verschiebt, prognostiziert werden, dann ist die Dringlichkeit der Situation zu erahnen. Daher gilt seit einigen Jahren verschiedenen Laubbaumarten vermehrte Aufmerksamkeit der Bezirksforstinspektion und anderer forstlicher Akteure. Im trockenen Oberinntal die Weichen für einen klimafitten Wald zu stellen, dafür brennt Andreas.

Andreas Pohl auf Verjüngungsfläche

Straußenfarn und Eichentotholz

 

 

 

 

 

 

 

Eine weitere forstliche Herausforderung in Bezug auf den Paradigmenwechsel hin zu mehr Laubholz- und Tannenanteil in den Tiroler Wäldern sind die Schäden durch Wildverbiss. Erhöhte Wildbestände, die weit weniger mediale Aufmerksamkeit erhalten als Wolf und Bär, sorgen dafür, dass sich die vom Wild geschätzte Weiß-Tanne und Laubgehölze sich oft natürlich kaum verjüngen können. Hier im Stamser Eichenwald hat man das Problem kleinflächig durch Umzäunungen gelöst – an den meisten Standorten ist ein solches Vorgehen aber zu teuer. Neben der „Klimafitness“ unserer Wälder sollten wir auch deren Biodiversität nicht außer Acht lassen. Ausreichende Mengen von stehendem und liegendem Totholz wirken sich auf allen Ebenen positiv auf die Artenvielfalt aus.

Den restlichen Nachmittag verbringen wir mit Daniel Baumgartner damit, uns einen Überblick im Dickicht der heimischen Baum- und Straucharten zu verschaffen. Beim Laufspiel zum Aufwärmen gelingt die Erkennung der wichtigsten Arten im Nu. Anhand einer partizipativen Methode werden daraufhin Stiel-Eiche, Winter-Linde, Gemeine Esche, Haselnuss, Schwarzer Holunder und Berg-Ulme ganz genau unter die Lupe genommen. Aus dem Schwarmwissen der Gruppe sprudelt es regelrecht Geschichten und Informationen zu den einzelnen Arten.

Fundstücke von der Stiel-Eiche

Geschichten zu Bäumen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am frühen Abend sind wir noch im Naturparkhaus Längenfeld mit Thomas Schmarda, Geschäftsführer des Naturpark Ötztal, verabredet. Er hat einen bildgewaltigen Vortrag für uns vorbereitet, mit dem er uns die Besonderheiten und Höhepunkte des Naturparkgebiets näherbringt. Die liebevoll gestaltete Dauerausstellung mit vielen naturkundlichen Schnitzobjekten begeistert die Kursteilnehmer:innen – und macht auch Thomas noch sichtlich stolz.

Köcherfliegenlarve im Naturparkhaus

Zeitzeugin Lärche

 

 

 

 

 

 

 

Kein Lebensraum eignet sich so gut zur Verdeutlichung und direkten Beobachtung der Kreisläufe des Lebens wie der Wald. Auf engstem Raum treffen zumindest in naturnahen Wäldern Geburt und Tod, Wachstum und Sterben, Zersetzung und Erneuerung aufeinander. Mit den Tiergruppen, die maßgeblich an diesen Prozessen beteiligt sind, haben wir uns schon im Stamser Eichenwald beschäftigt. Daneben spielen Pilze eine bedeutende Rolle in diesen Stoff- und Energiekreisläufen. Während wenige bekannte Speisepilze wie Steinpilz und Pfifferling sich großer Bekanntheit erfreuen, und einige Arten wie der giftige Fliegenpilz oder der potenziell tödliche Grüne Knollenblätterpilz als Kuriositäten bekannt sind, führen die meisten Arten des Waldes ein Schattendasein außerhalb unserer Wahrnehmung. Mykologe (Pilzexperte) Eberhard Steiner von den Tiroler Universitätskliniken verbringt den Freitag mit uns, um Licht in dieses Dunkel zu bringen. Er versteht es, unscheinbare und weniger auffällige Arten mit spannenden Geschichten und viel Humor zu vermitteln. Auch gibt es allerlei Interessantes über Lebensweise und Ökologie der Pilze zu erzählen, noch bevor überhaupt auf einzelne Arten eingegangen wird. Bei der nachmittäglichen Exkursion wird dann schnell klar, dass es auch bei unwirtlichen Bedingungenmehr außerhalb der Risotto-Saison für Pilzfreund:innen allerhand zu entdecken gibt.

Eberhard Steiner macht der Wintereinbruch nichts aus

Rentierflechten bilden einen Miniaturwald

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Davor aber gibt es noch eine ausführliche Einführung in die faszinierende Welt der Pilze und Flechten. Mit allerlei Anschauungsmaterial im Gepäck sorgt Eberhard für so manchen Aha-Moment. Wurden vor einigen Jahrzehnten Pilze in der Biologie noch als Pflanzen ohne Chlorophyll (Blattgrün) kategorisiert, bilden sie mittlerweile neben den Tieren und Pflanzen ein eigenes drittes Reich innerhalb der sogenannten eukaryotischen Lebensformen (darunter versteht man Lebewesen mit einem echten Zellkern, im Unterschied zu den prokaryotischen Bakterien und Archeen). Die Verwandtschaft mit den Tieren ist sogar enger als jene mit den Pflanzen. Viele Eigenschaften teilen sie mit ersteren (Ernährung durch organische Nährstoffe ihrer Umgebung, Glykogen als Speicherstoff), andere wiederum mit Pflanzen (Vorhandensein von Zellwänden und Vakuolen). Außerdem erfahren die TeilnehmerInnen Grundlagen zur Lebensweise, Vermehrung, Nutzung und kulturgeschichtlichen Bedeutung von Pilzen. Immer wieder werden angemessene Antworten auf die bei Pilzexkursionen am häufigsten auftauchenden Fragen diskutiert.

Optisch und auch haptisch beeindruckend sind die Baumpilze, die Eberhard als Anschauungsmaterial mitgebracht hat. Der bekannte, aber bei uns recht seltene Zunderschwamm ist auf geschwächten Buchen- oder Birkenstämmen zu finden, sowie zusammen mit dem Birkenporling in Ötzis Transalp-Gepäck. Den häufigeren, aber nicht minder beeindruckenden Rotrandigen Baumschwamm oder Fichtenporling findet man in Tirol häufiger. Der als Apothekerpilz bekannte Lärchenbaumschwamm wurde früher zur Herstellung von Medizin verwendet und war sehr geschätzt.

Schwefelflechte unter Felsvorsprung im Bergsturzwald

Vulpicida pinastri ist stark giftig

 

 

 

 

 

 

 

 

Vom vorübergehenden Wintereinbruch in Niederthai lassen wir uns nicht aufhalten. Im Zuge der Exkursion am Nachmittag beschäftigen wir uns hauptsächlich mit Flechten, da die kleinen Fruchtkörper der zu dieser Jahreszeit erwartbaren Pilzarten langsam unter der wachsenden Schneedecke verschwinden. Hexenbutter, Striegelige Tramete, Kiefern-Zapfenrübling und Birnenstäubling bleiben unserem Blick trotzdem nicht verborgen. Ausgesprochen vielfältig präsentiert sich die Welt der Flechten im Bergsturz-Blockwaldgelände. Diese Bezeichnung steht für eine symbiotische Lebensgemeinschaft zwischen einem oder mehreren Pilzen und einer oder mehreren Photosynthese betreibenden Partnerarten (diese Rolle nehmen Grünalgen oder Cyanobakterien/Blaualgen ein). In der biologischen Systematik werden sie zwar im Reich der Pilze geführt, nehmen dort aber als eigene Lebensform eine Sonderstellung ein. Der Pilz bildet mit einem Geflecht aus Pilzfäden (Hyphen) den Körper der Flechte, innerhalb dessen die Photosynthese betreibenden und somit den Pilz miternährenden Algenpartner vergleichsweise gute Lebensbedingungen vorfinden – eine klare Win-Win-Situation. Ihr spezieller Aufbau und Stoffwechsel ermöglicht es Flechten, Lebensräume und Kleinstandorte mit schwierigen Bedingungen zu besiedeln und lange Zeit unter Extrembedingungen zu überdauern (im Versuch überlebten sie sogar zwei Wochen im All!). Bei kurzen Suchaktionen im Bergwald tritt gleich eine beeindruckende Formen- und Farbenvielfalt von Flechtenarten zutage. Wir treffen auf eine Reihe verschiedener, schwer zu bestimmender Arten von Krustenflechten auf der Oberfläche von Steinen. Die bekannte Landkartenflechte ist die auffälligste davon. Aufgrund ihres regelmäßigen Wachstums wird sie in der Gletscher- und Klimaforschung sogar für Datierungen verwendet – sie zeigt etwa an, wie lange ein Fels mindestens schon eisfrei sein muss. Häufig in der Formgruppe der Strauchflechten sind die Baumbärte der Gattung Usnea, Indikatoren für Luftgüte, und die Rentierflechten der Gattung Cladonia. Auch die Gabel- und Blasenflechte sowie das für Heilzwecke verwendete Isländisch Moos lernen wir zu erkennen. Der Blick durch die Lupe offenbart erst richtig die Schönheit im Kleinen der Gelben Schüsselflechte und die Vermehrungsorgane der Rentierflechte. Die Apfelflechte leuchtet bei den feuchten Bedingungen regelrecht vollgesogen am Waldboden, genauso wie die Schwefelflechten unter Felsvorsprüngen. Zum Abschluss gibt es im Seminarraum noch Literaturempfehlungen vom Profi zur weiteren Vertiefung zuhause.

Apfelflechte zwischen Rentierflechten

Sporenverbreitung beim Birnenstäubling

 

 

 

 

 

 

 

Botaniker Christian Anich vom Tiroler Landesmuseum lenkt unsere Aufmerksamkeit am Samstagvormittag auf eine Pflanzengruppe, die oft stiefmütterlich und verallgemeinernd behandelt wird: Erst auf den zweiten Blick und mit Hilfe einiger wichtiger Hinweise vom Experten in Bezug auf Unterscheidungsmerkmale tritt in den grünen Moospolstern eine Vielfalt zutage, die den meisten bisher verborgen blieb. Aufgrund ihrer Lebensweise sind Moose sehr stresstolerant und können schwierige Standorte, etwa mit angespanntem Wasserhaushalt, besiedeln. Wir besprechen gleich zu Beginn die wichtigsten Unterschiede zu den Samenpflanzen in Aufbau und Vermehrung. In einer Einführungsübung wird der Blick an mitgebrachten Moosen geschult. Deren Vielfalt und auch die der im Bergsturzgelände am Tauferberg vorkommenden Moose ist faszinierend, jedoch ist es auf Anhieb auch mit Lupe gar nicht leicht, die vielen neu erlernten Arten sicher und richtig zu bestimmen und wiederzufinden. Dennoch leistet die motivierte Gruppe schon auf Anhieb Großartiges und erlaubt sich kaum einen Fehltritt.

Christian Anich ist Experte für Moose

Vollgesaugtes Haarmützenmoos

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Also entscheiden wir uns, den Blick zu fokussieren, und stellen eine Liste der häufigsten und bedeutendsten heimischen Arten auf, die auch Laien gut wiedererkennen können. Mit Lupen ausgerüstet machen wir uns auf die Suche im Bergsturzgelände. Die in den moorigen Bereichen am Hangfuß vorkommenden Torfmoose und ihre kulturgeschichtliche und ökologische Bedeutung sind uns bereits im ersten Modul begegnet. Aus dem Haarmützenmoos wurden früher sogar als Schiffstaue verwendete Mooszöpfe geflochten. Das Etagenmoos macht mit seinen stockwerkartigen Jahrestrieben seinem Namen alle Ehre und hat damit einen sehr hohen Wiedererkennungswert. Schlafmoose besiedeln oft mattenartig die Basis von Baumstämmen und laden zum Verweilen ein. Der an lichteren Standorten vorkommende Große Runzelbruder hingegen raschelt beim Betreten und ist daher auch als Raschelmoos bekannt – allerdings nicht bei Dauerregen! Zur Gattung der Kammmoose gehört unter anderem das Straußenfedermoos. Die Gabelzahnmoose bilden in der Regel große Polster, während manche Lebermoose, von denen wir einen Vertreter am nackten Fels finden, vom Habitus her eher an Flechten erinnern. Ihr Name kommt aus der Tradition der Signaturenlehre („Ähnliches heilt Ähnliches“) – heute ist die Bedeutung von Moosen in der Medizin allerdings als gering einzustufen.

Jungzirbe im Moospolster

Bestimmungsübung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Umso wertvoller ist ihre ökologische Rolle als Pionierbesiedler. Als Lebensraum sind sie unter anderem für die kuriosen und unverwüstlichen Bärtierchen von Bedeutung.  Von unmittelbarer Bedeutung für den Menschen: Durch ihre ausgeprägte Fähigkeit zur Wasserspeicherung bilden sie einen natürlichen Hochwasserschutz und können sowohl Niederschlags- als auch Temperaturextreme abpuffern. Auch die sinnliche Erfahrung eines Moosbettes im Wald an einem warmen Sommertag ist unbezahlbar.

Den Nachmittag mit Forstkundler und Botaniker Manfred Hotter verbringen wir wieder an nahegelegenen Waldstandorten am Tauferberg. Diesmal gilt unsere Aufmerksamkeit jedoch in erster Linie den so genannten höheren Pflanzen und ihrer Ökologie. In einer Einführung erfahren wir, welche Faktoren dazu führen, dass sich unter natürlichen Bedingungen je nach Standort spezifische Waldgesellschaften ausbilden. Diese kennzeichnen sich jeweils durch eine typische Baumarten- und Unterwuchszusammensetzung. Was die klimatischen Wuchsgebiete betrifft, gibt es die grobe Unterscheidung zwischen den niederschlagsreicheren Randalpen und den trockeneren inneralpinen Zonen mit größeren Temperaturschwankungen. Diese großräumigen Klimafaktoren bedingen die potentielle natürliche Verbreitung der Hauptbaumarten in Tirol. Der aktuelle Flächenanteil ist natürlich zusätzlich stark von der historischen und aktuellen forstwirtschaftlichen Nutzung beeinflusst (Fichte 58%, Lärche 7%, Buche 5%, Kiefer 4%, Tanne 3%, Zirbe 2%). Insgesamt kommt Tirol auf 9 heimische Nadelbaum- und 37 Laubbaumarten. Die Baumartenkenntnis in der Gruppe steigt mit jedem weiteren Tag im Ötztal.

Manfred Hotter mit Besenheide und Isländisch Moos

Podsol ist ein typischer Bergwaldboden auf saurem Ausgangsgstein

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Neben den das Landschaftsbild bestimmenden Hauptbaumarten kommen wir auch auf bis in Höhenlagen vorkommende Pionierarten wie Hänge-Birke und Vogelbeere zu sprechen, sowie auf Lawinenstrich-Spezialisten wie Grün-Erle und Latschen-Kiefer. Wir nehmen auch den Boden im Blockwald genauer ins Visier. Die Böschung am Wegrand erlaubt genauere Einblicke – es wird deutlich, dass sich auf dem sauren Ausgangsgestein erst eine geringmächtige Podsol-Auflage gebildet hat. Unter diesen Bedingungen dominieren verschiedene Zwergsträucher aus der Familie der Heidekrautgewächse den Waldunterwuchs. Die Preiselbeere erkennen wir anhand der ledrigen Blätter und hübschen Blüten wieder, bei der Heidelbeere sind die grünen Stängel ein wichtiges Bestimmungsmerkmal. Am höchsten Punkt der Wanderung angekommen reicht unser Blick bis hoch zur subalpinen Wald- und Baumgrenze, welche im Alpenraum durch die Almbewirtschaftung in den meisten Lagen vom Menschen nach unten gedrückt wurde. Vom anderen Ende des Spektrums hatte Manfred bereits Souvenirs im Kofferraum mitgebracht – an sonnenexponierten Hanglagen im äußeren Ötztal zum Beispiel fühlt sich die wärmeliebende Trauben-Eiche wohl. Wir beenden die waldbotanische Exkursion mit der Bohrkernentnahme bei einer Fichte und vergleichen die Jahrringzählung mit den Schätzwerten.

Altersbestimmung bei Fichte

Samen heimischer Baumarten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Abschlusstag des Moduls geht es von einem bekannten Bergsturzgelände zum nächsten: Vom Köfels-Bergsturz, der das Landschaftsbild um unser Quartier bestimmt, geht es in Bereiche, die durch den Tschirgant-Bergsturz vor etwa 3.000 Jahren dauerhaft geprägt worden sind. Für die Beschäftigung mit Wald- und Naturpädagogik haben wir mit dem Sautener Forchet, einem von knorrigen Rot-Föhren bestimmten blumenreichen lichten Wald am Eingang des Ötztals, ein ideales Gelände gefunden. Johannes Rüdisser vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck hat neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit auch weitläufige Erfahrungen im Bereich der Umweltbildung und Naturvermittlung gemacht, von Schulklassenführungen mit natopia bis hin zur Entwicklung und Begleitung neuer Umweltbildungsprojekte. Ziel des Tagesworkshops ist es, Impulse für die naturpädagogische Arbeit mit Gruppen von Kindern und Erwachsenen zu bieten. Es handelt sich dabei um erlebnis- und erfahrungsorientierte Zugänge, bei denen die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten in ein breites Sammelsurium von Methoden eingebunden ist. Die TeilnehmerInnen werden eingeladen, sich auf die Aktionen einzulassen, sie im Probedurchlauf zu genießen und von der Möglichkeit dieser Innenperspektive zu profitieren – eine wichtige Basis für jene, die ähnliche Methoden in ihrer Arbeit mit Gruppen anzuwenden gedenken. Johannes betont auch, dass sich die Eignung und Notwendigkeit von Natur- und Waldpädagogik gewiss nicht auf Kinder als Zielgruppe beschränkt: Der Tag wird ihm Recht geben! Es wird gerannt, gespielt, gerochen, gelauscht, gebastelt und gelacht… und dazwischen gibt es immer wieder Gelegenheit, das Erlebte einzuordnen, zu reflektieren und auf die Verwendbarkeit für die eigene Tätigkeit hin zu prüfen.

Johannes Rüdisser ist Wissenschaftler und Naturvermittler

Weiße Waldhyazinthe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Vormittag steht ganz im Zeichen der Sinneswahrnehmung. Nach einer kurzen Tiernamenrunde mit Namenswettlauf zu Beginn gilt es beim Waldmemory, sich möglichst viele Naturgegenstände zu merken und in der nahen Umgebung wiederzufinden. Diese werden anschließend besprochen und von der Gruppe zu einem Mandala aufgelegt – ein biologisch abbaubares Naturkunstwerk, in konzentrischen Kreisen angeordnet. Der anschließende Tarnpfad erfordert höchste Konzentration, um so viele getarnte Kunststofftierchen wie möglich in der Vegetation zu erspähen. Außerdem ist die Temporeduktion eine ideale Vorbereitung für die nächsten Aktivitäten, bei der eine Person im Zweierteam die andere mit verbundenen Augen vorsichtig durch das unwegsame Gelände führt. Ein:e Fotograf:in führt ein:e menschliche Kamera spazieren und stellt sie auf verschiedene Naturschnappschüsse ein. Später geht es bei der Baumbegegnung darum, einen ausgiebig ertasteten Baum im Anschluss mit offenen Augen unter vielen ähnlichen wiederzuerkennen. „Ohren weit auf!“ heißt es bei der Geräuschelandkarte. Während einer meditativ wirkenden Ruhephase werden alle wahrgenommenen Geräusche auf einem Stück Papier vermerkt – eine Einladung, einmal genauer als üblich hinzuhören, und die Hintergrundgeräusche die Hauptrolle einnehmen zu lassen. Abschließend wird das Erlebte in der Gruppe reflektiert und die Eignung verschiedener Methoden in unterschiedlichen Kontexten diskutiert. Zum Abschluss der Einheit wird noch das Konzept „Flow Learning“ des US-amerikanischen Naturpädagogik-Pioniers Joseph Cornell vorgestellt – es bildete das konzeptuelle Gerippe hinter der durchdachten Abfolge von Methoden, die den Teilnehmer:innen einen kurzweiligen, erholsamen und doch lehrreichen Vormittag boten.

Genau hinschauen beim Tarnpfad

Blinde Baumbegegnung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Weiter geht’s am Nachmittag im Zeichen der Schmetterlinge: Johannes stellt das Projekt „Viel-Falter“ (Monitoring heimischer Tagfalter unter Miteinbeziehung interessierter Laien) vor und lädt zu einem einfachen Spiel daraus ein, bei dem die wichtigsten heimischen Tagfalterarten mühelos vermittelt werden. In weiterer und heiterer Folge werden die Teilnehmer:innen in einer Reihe von Naturerlebnisspielen in Eulen, Krähen, Fledermäuse und Nachtfalter verwandelt. Wir nehmen einen prall gefüllten Methodenkoffer für die Bereicherung der eigenen Tätigkeit mit verschiedenen Zielgruppen mit.

Wir verlassen das Ötztal mit einem Wald voller Eindrücke und möchten uns bei den Gastgeber:innen vom Hotel Tauferberg für die ausgesprochen freundliche Bewirtung bedanken.

 

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