Dem Himmel so nah – Tiroler Naturführerkurs Modul 4, Nationalpark Hohe Tauern, 20.-23. August 2020
Nachdem wir in den ersten Kursmodulen zu den Lebensraumschwerpunkten Wasser, Wald und Wiese in drei der fünf Tiroler Naturparke zu Gast waren, darf zum Abschluss auch die „Königsklasse der Schutzgebiete“ nicht fehlen. Der Nationalpark Hohe Tauern bietet ein wunderbares Setting, um sich mit den speziellen Anpassungen von Gebirgspflanzen und -tieren zu beschäftigen. Außerdem lädt das zumindest unter Geologen weltweit bekannte Tauernfenster uns dazu ein, nochmal die Grundlagen der Geologie zu vertiefen – mit besonderem Augenmerk auf die metamorphen Umwandlungsgesteine, die für die Region so charakteristisch sind.
Am ersten Tag gibt es ein Wiedersehen mit dem aus dem ersten Modul bekannten und berüchtigten Geologie-Methodenprofi Magnus Lantschner. In der Morgensonne lädt er die KursteilnehmerInnen ein, mit geschlossenen Augen tief in die Gesteinswelt einzutauchen – inklusive der damit verbundenen relevanten zeitlichen Dimensionen. So wird dann mal aus mehreren Millionen Jahren ein Augenblick, und die besondere Geschichte des seltenen Minerals Omphacit auf der Kalser Blauspitze, welches durch die seltene Kombination aus hohem Druck und tiefen Temperaturen ensteht, wird plötzlich greifbarer. Von einem Aussichtsplatz mitten in Kals vor unserem Basilager Ködnitzhof bietet sich eine Aussicht, die in geologischer Hinsicht lehrbuchreif ist: Der Rasegg-Schwemmfächer auf der gegenüberliegenden Talseite stellt fast einen idealisierten Prototyp für einen alpinen Schwemmkegel dar. Landschaftselemente wie dieses erzählen von einer relativ jungen Talgeschichte (GeologInnen denken natürlich in anderen Zeiträumen!). Die umgestaltenden Kräfte einer Eiszeit würde ein derartiger Schwemmkegel nicht überdauern, da es sich nur um eine riesige Ansammlung aus losem Schuttmaterial handelt.
Nach dem kurzen Einstieg fahren wir in Richtung Dorfertal. Die Geschichte der verhinderten Flutung dieses Tals für einen Speichersee ist eng mit der Gründung des Nationalparks Hohe Tauern verwoben. Bevor wir uns auf die geologische Wanderung machen, stellt Magnus noch seine „eierlegende Wollmilchsau der Alpenentstehung“ vor. Damit meint er den Versuch, auf einer einzigen mehrere Meter langen Bodenplane all jene erdgeschichtlichen Zeitalter mitsamt der wichtigsten Organismen, Ablagerungs- und Auffaltungsprozesse bildhaft darzustellen, die für die Alpen und ihre Gesteine von Bedeutung sind.
Am Einstieg der Daba-Klamm, die für Kraftwerksbetreiber noch Ende des vorigen Jahrhunderts geradezu prädestiniert für eine Staumauer schien, bekommen die KursteilnehmerInnen noch zwei Aufgaben für die Wegstrecke durch die Schlucht, ausgerüstet mit verdünnter Salzsäure und einem Hammer: den für die Gegend charakteristischen (und kalkfreien) Grünschiefer zu finden, und die ähnlich aussehenden, aber chemisch sehr unterschiedlichen Minerale Quarz und Calcit (Kalkspat) unterscheiden zu lernen. Calcit bricht gerade ab und schäumt unter Zugabe von verdünnter Salzsäure auf, da das Calciumcarbonat aufgelöst und Kohlendioxid freigesetzt wird. Außerdem kann die Härte eines Gesteins ein wertvolles Indiz zur Unterscheidung sein. Härtere Minerale ritzen weichere an – der Geologe Friedrich Moos nutzte schon im frühen 19. Jahrhunderten diese einfache Einsicht zur Erstellung einer Härteskala von 1 bis 10, auf der Calcit das Referenzmineral für den Wert 3 (mit Kupfermünze ritzbar, mit Taschenmesser erst recht) und Quarz jenes für den Wert 7 (ritzt Fensterglas) darstellt. Nicht zu verwechseln ist die Härte mit der Zerbrechlichkeit eines Minerals.
Während wir uns mit ansteigenden Höhenmetern den Weg durch die Erdgeschichte erarbeiten, stoßen wir zuerst auf Bündner Schiefer und Ölschiefer. Noch ehe wir bei den Suchaufträgen fündig werden, stoßen wir auf weitere biologische und geologische Schätze. Die wunderschöne, den Kalk schon im Namen tragende Orchidee Frauenschuh (Cypripedium calceolus) ist im Spätsommer leider schon verblüht. Quelltuff ist ein Beispiel für sehr junges Gestein, das durch die Auswaschung von Calciumcarbonat aus dem Kalkglimmerschiefer durch das Hangwasser entsteht. Daraufhin durchwandern wir endlich die Zone in der Abfolge der Gesteinsschichten der Schlucht, in der wir beim Grünschiefer fündig werden. Auch Quarz und Calcit wurden mittlerweile ausgiebig mit Salzsäure beträufelt, und das geologische Gespür wächst mit dem Fortschritt der Wanderung. Auch die Entstehung einer Schlucht durch die Erosionskraft des Wassers kann an diesem Ort gut thematisiert werden – später wird Magnus diese Dynamik durch ein einfaches „Sandkastenexperiment“ am Bachbett noch vorzeigen und damit letzte Unklarheiten beseitigen.
Im Hochtal angekommen, packt Magnus sein Rieselbild aus, bei dem verschiedene für die Alpengesteinsbildung wichtige Sedimentationsprozesse zwischen zwei eingerahmten Glasscheiben bildhaft verständlich gemacht werden. Er lässt dabei Sand, Schotter, Muschelstücke und andere symbolische Sedimente sich ablagern. So werden Buntsandstein, Salz- und Gipsablagerungen, Wetterstein, Hauptdolomit, Partnach-Schichten, Hauptdolomit, Ölschiefer, Kössener Schichten, Oberrät- und Adneter Kalk sowie die Allgäu-Schichten und Radiolarit zu mehr als trockenen Begriffen, mit denen unsere Vorstellungskraft bei Geologie-Vorträgen nur allzu oft zu kämpfen hat. Zum krönenden Abschluss dieser Performance simuliert Magnus noch einen Vulkanausbruch mit selbst bunt angerührtem Magma. Am Nachmittag geht es darum, mit den wichtigsten metamorphen Mineralien und Gesteinen näher auf Tuchfühlung zu gehen: ausgestattet mit Lupen, Infoblättern, Mineralien in Reinform und verschiedenen Gesteinen machen wir uns mit Glimmer, Feldspat, Granat und Co. vertraut und beschäftigen uns mit den Bedingungen, unter denen sie jeweils entstanden sind.
Der kreative Abschluss kommt den schon leicht rauchenden Köpfen der angehenden Naturführerinnen entgegen. Verschiedene Kleingruppen loten das künstlerische Potential der Beschäftigung mit Steinen aus. Diese werden nach Form, Farbe oder Größe angeordnet, oder in statisch herausfordernde Miniaturbauwerke verbaut. Im Nu entsteht so unter Mitwirkung vieler fleißiger Hände eine ästhetisch ansprechende Steinlandschaft. Nur bei einer Kleingruppe dürfen die Gehirne weiter qualmen. Die vergleichende Dichtemessung verschiedener Gesteine mit einfachsten Hilfsmitteln scheint zuerst knifflig, doch auch hier lässt der „Heureka-Effekt“ nicht lange auf sich warten. Einen Höhepunkt behält sich Magnus noch für den Rückweg durch den finsteren Tunnel der Daba-Klamm auf, welchen wir ohne Taschenlampen bestreiten. Dafür sorgt das Klopfen mit Quarzsteinen für kleine Funken im absoluten Dunkel.
Am zweiten Tag stehen der Besuch im Nationalparkhaus und eine Exkursion ins Ködnitztal mit dem Schwerpunkt Naturbeobachtung und Wildtiere auf dem Programm. Unser Begleiter Andreas Angermann ist nicht nur schon seit 18 Jahren Ranger im Nationalpark Hohe Tauern, sondern auch erfahrener Jäger. Da kommen über die Jahre eine ganze Menge Beobachtungen und Wissen zusammen. Wir haben also bei der Wildtier-Exkursion mit Andreas die Gelegenheit, diesen reichen Erfahrungsschatz anzuzapfen und uns von seiner Begeisterung für sein „Revier“ (damit ist natürlich nicht sein Jagdrevier im engen Sinne gemeint) anstecken zu lassen. Im Nationalparkhaus in Matrei in Osttirol können wir einen präparierten Bartgeier ganz aus der Nähe bestaunen, während Andreas von einem der Highlights seiner Ranger-Laufbahn erzählt. Den Bartgeier „Felix“ aus Barcelona trug er selbst in einer Holzkiste ins Gebirge, bevor er im Rahmen des Wiederansiedelungsprojektes in die Freiheit entlassen wurde.
Die digitale Reliefkarte des Nationalpark-Gebiets ist einer der Höhepunkte der Ausstellung. Sie erlaubt einen schnellen Überblick über die Geografie und die wichtigsten Landschaftselemente des Nationalparks wie zum Beispiel Flüssen, Bergseen oder Gletschern. Die Aussicht auf eisfreie Hohe Tauern möglicherweise noch bis zur Jahrhundertmitte hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Im anschließenden Vortrag tauchen wir tief in die Geschichte der Nationalparks ein und erfahren Interessantes zur Entwicklung und den Tätigkeitsfeldern des flächenmäßig größten österreichischen Nationalparks. Andreas weiß seine historischen Ausführungen mit interessanten Tiergeschichten und kuriosen Anschauungsobjekten wie Bezoarkugeln und Herzkreuz aufzulockern.
Die Vorfreude ist groß, als wir dann endlich mit Spektiv und Ferngläsern zur Wildtierbeobachtung im Ködnitztal aufbrechen. Die berühmten alpinen „Big Five“ (Murmeltier, Gämse, Steinbock, Steinadler, Bartgeier), mit denen der Nationalpark seine Exkursionen bewirbt, lassen sich fast in Vollbesetzung blicken. Nur der Bartgeier (Gypaetus barbatus) ist am Freitag verhindert. Dafür erzählt Andreas interessante Geschichten zu dessen polyandrischen Liebesleben, dem „Lämmergeier“-Irrtum und den kuriosen Ausflügen besenderter Bartgeier nach Holland und Sardinien. Aufgrund der weiten Tagesstrecken von bis zu 500 Kilometern pro Tag sind für aufmerksame Naturbeobachter Sichtungen auch weit außerhalb der Brutgebiete möglich. Wir werden die Herausforderung mit nach Hause nehmen, aber für heute geben wir uns mit den Leintuch-Silhouetten in Originalgröße zufrieden, mit denen die wichtigsten Erkennungsmerkmale von Bartgeier (drei Meter Spannweite!) und Steinadler (Aquila chrysaetos) verdeutlicht werden. Letzterer lässt sich daraufhin tatsächlich blicken. Das Flugbild im Durchzug ist zwar etwas schwieriger zu identifizieren, doch nach ausgiebiger Beobachtung der Merkmale bleiben keine Zweifel offen. Doch dass Größe nicht alles ist, beweisen die unerschrockenen und wendigen Alpendohlen, die dem Steinadler zeitweise beinahe die Show stehlen. Andere große heimische Vogelarten wie der Kolkrabe (Corvus corax) und der Uhu (Bubo bubo) sind in Form von mitgebrachten Präparaten mit von der Partie. Im Uhu-Gewölle ist unter den unverdauten Speiseresten sogar noch die Kralle eines Mäusebussards zu entdecken!
Eine weibliche Gämse (Rupicapra rupicapra) mit Jungtieren leitet die Sichtungen der bekannten alpinen Säugetiere ein. Im Gegensatz zum weißbauchigen Steinwild sind diese durch schwarze Beine und Bauch auch aus der Ferne gut identifizierbar. Auf der gegenüberliegenden Talseite sichten wir kurz darauf einen Bock der selben Art, der typischerweise allein den Berghang durchstreift. Nicht lange dauert es, bis wir kurz unterhalb der Lucknerhütte auch eine Steingeiß (Capra ibex) entdecken, deren träge Bewegungen schon Fragen aufwerfen. Bei einer zweiten Beobachtung aus geringerer Distanz mit dem Spektiv bestätigt sich der Verdacht der Räude in fortgeschrittenem Stadium. Diese durch Milben verursachte Krankheit bietet ein trauriges Bild eines stark geschwächten Tiers, dem wohl nicht mehr viel Zeit bleibt. Hier wird der von Andreas darüber informierte Revierjäger wohl so bald als möglich den Gnadenschuss absetzen. Zum Glück können wir auch noch ein hoffnungsvolleres Bild mit auf den Abstieg nehmen. Ein Rudel mit elf Steingeißen weiter oben im Tal kündigt uns schon die Marschrichtung für die sonntägliche botanische Exkursion an. Auf dem Rückweg widmen wir uns noch kurz der Beobachtung von Murmeltieren (Marmota marmota) und ihren Alarmsignalen, welche zwar wie Pfiffe klingen, aber eigentlich Schreie sind (einfach Luftalarm, mehrfach Bodenalarm). Auch die spannenden Geschichten und neuen Forschungsergebnisse zur Überwinterung dieser Langschläfer sorgen dafür, dass die ExkursionsteilnehmerInnen bis zum Ende aufmerksam und interessiert dabei bleiben.
Am Samstag sind für den Nachmittag heftige Gewitter angesagt. Wir haben das Glück, das Seminar mit Kommunikations- und Naturvermittlungsexperten Martin Krejcarek in den Räumlichkeiten des mit dem Ködnitzhof verbundenen Kalser Gemeindesaals verbringen zu dürfen. Martin gehört zu den Pionieren der österreichischen Naturpädagogik-Szene, arbeitet als Trainer und Organisationsentwickler aber auch mit zahlreichen Unternehmen und öffentlichen Insititutionen. Wir beschäftigen uns mit Vorurteilen, Gruppendynamiken und Interaktionsmustern. Dabei gehen wir vor allem den Fragen nach, wie qualitative Gruppenleitung aussehen kann, und welche Zutaten den Mix einer gelungenen Naturveranstaltung ausmachen. Wir diskutieren über zu beachtende Rahmenbedingungen, Authentizität der Naturführer-Persönlichkeit, Bedürfnisgruppen, Themen-Fokus („claim“), vielfältige Methodik und Dramaturgie („das Spiel mit der Spannung“). Durch seine jahrzehntelange Tätigkeit im Feld der Naturvermittlung zwischen Konzeption, Supervision und Durchführung kann Martin nicht bloß graue Theorie bieten, sondern auch zahlreiche Best-Practice-Beispiele von Naturführungsangeboten, die sich als besonders erfolgreich herausgestellt haben. Dafür, dass auch nach dem Mittagessen oder zum Ende des Seminars hin niemand im Stuhl versinkt, sorgen Martins bemerkenswerter Humor und seine Fähigkeit, im richtigen Moment durch Aktionsphasen die Stimmung aufzulockern.
Vera Margreiter vom Institut für Botanik der Universität Innsbruck, Spezialistin für Hochgebirgs-Botanik, begleitet uns am letzten Tag des diesjährigen Naturführerkurses noch einmal durch das Ködnitztal in Richtung Großglockner – mit dem Erreichen der Stüdlhütte auf ca. 2.800 Metern üNN haben wir uns ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, welches strenge Zeitdisziplin erfordert. Im Vergleich zur Wildtier-Exkursion mit Andreas Angermann haben wir unseren Blick aber auf eine andere Brennweite eingestellt, und unser Fokus gilt diesmal mehr dem Boden samt Bewuchs statt dem Himmel und den entfernten Hängen. Doch Vera wird uns vorführen, dass auch im Kleinen große Sehenswürdigkeiten verborgen liegen. Ihre beachtliche Fachkenntnis zur alpinen Flora paart sich mit einer ansteckenden Begeisterung für die „Höchstleistungen“ der Gebirgspflanzen. Je näher wir unserem Exkursionsziel kommen, umso ausufernder wird der Enthusiasmus vieler TeilnehmerInnen für die Ästhetik und speziellen Anpassungen der Hochgebirgspflanzen, welche Nicht-Bergsteiger ja nicht täglich zu Gesicht bekommen.
Schon nach wenigen Schritten machen wir zum ersten Mal Halt, da wir uns bereits mitten in einem für Gebirgslagen typischen Vegetationstyp befinden. Die Hochstaudenflur ist durch frischen, nährstoffreichen Boden gekennzeichnet. Hier wachsen stark wüchsige krautige Pflanzen mit großer Blattfläche, wie zum Beispiel der Kahle Alpendost (Adenostyles alliariae) und die Meisterwurz (Peucedanum ostruthium), welche zumindest den Schnapsliebhaberinnen und Naturheilkundlern schon ein Begriff sein sollte. Wir bekommen auch wertvolle Unterscheidungstipps für die Blätter der beiden Arten Huflattich (Tussilago farfara) und Alpen-Pestwurz (Petasites paradoxus). Diese blühen zwar sehr unterschiedlich, aber nach Verschwinden der Blüte ist genaueres Hinschauen angesagt – der Huflattich ist unter anderem an den hufeisenförmig angeordneten Leitbündeln zu erkennen. In der Strauchschicht dominiert die Grün-Erle (Alnus alnobetula), begleitet von der Felsen-Johannisbeere (Ribes petraeum).
Beim nächsten Stopp im Almwirtschaftsgürtel beschäftigen wir uns mit dem ökologisch wichtigen Thema von Pflanzen als Indikatoren. Im Weidegebiet lernen wir die bei Almbauern sich wenig Beliebheit erfreuenden Weißer Germer (Veratrum album) und Kohl-Kratzdistel (Cirsium oleraceum) als typische Weidezeiger kennen. Dieses Landschaftselement wird durch menschliche Bewirtschaftung erhalten, handelt es sich doch noch um potentielles Bergwaldgebiet. Wir sind mit einer Kuriosität konfrontiert, als wir die Rostblättrige Alpenrose (Rhododendron ferrugineum) und die Bewimperte Alpenrose (Rhododendron hirsutum) an derselben Stelle finden. Erstere zeigt in der Regel silikatischen Untergrund an, zweitere hingegen deutet auf Kalk. Zusammen sprechen sie für die komplexe geologische Situation des Tauernfensters und erinnern uns daran, dass auch auf kalkhaltigen Gesteinsuntergründen eine oberflächliche Versauerung stattfinden kann. Manchmal hybridisieren die beiden Arten sogar. Weitere typische verholzte Vertreter der alpinen Zwergstrauchheide sind der Gemeine Wacholder (Juniperus communis), die Rauschbeere (Vaccinium uligunosum), die oft auf Kalk vorkommende Schneeheide (Erica carnea) und die für silikatischen Untergrund typische Besenheide (Calluna vulgaris). Einige hundert Höhenmeter weiter oben, im Bereich der alpinen Rasen, bilden sich auf kalkreichem Untergrund Blaugrasrasen (Kalk-Blaugras, Sesleria albicans) aus, während auf silikatischem Gestein die Krumm-Segge (Carex curvula) die Leitart ist. Der Einfluss des geologischen Untergrunds auf die Vegetation nimmt im Hochgebirge zu, da durch die geringeren Bodenmächtigkeiten die Pflanzen stärker von den Eigenschaften des darunterliegenden Gesteins beeinflusst werden.
Im Bereich zwischen Luckner- und Stüdlhütte tauchen wir immer tiefer in die Welt der Hochgebirgsspezialisten und deren Anpassungen an eine zumindest zeitweise extrem lebensfeindliche Umgebung ein. Der Überlebenskampf bedingt ein äußerst langsames Wachstum (der Krummseggenrasen kann sich nur um etwa ein Millimeter pro Jahr horizontal ausbreiten), und viele Pflanzen wie das Alpen-Rispengras (Poa alpina) und der Knöllchen-Knöterich (Bistorta vivipara) setzen vermehrt auf klonale Vermehrungsstrategien, anstatt sich nur auf die risikobehaftete Samenbildung zu verlassen. Mit Trauben-Steinbrech (Saxifraga paniculata) und Polsternelke (Silene acaulis) stoßen wir auch auf zwei ausgesprochene Mikroklima-Spezialisten. Aus ästhetischer Sicht stechen besonders die verschiedenen Enzianarten, die Jaquin-Binse (Juncus jaquinii) und die Kriechende Nelkenwurz (Geum reptans) mit ihren fast surreal anmutenden Samenständen hervor. Kurz unterhalb der Stüdlhütte werden wir von einem allein stehenden Edelweiß (Leontopodium nivale) am Wegesrand für die Mühe und Disziplin beim Aufstieg belohnt – manche hätten nämlich noch lange, mit oder ohne Kamera, bei den hübschen bunten Gebirgsblumen ausharren können. Nach der Mittagspause bewundern wir noch einige hochalpine Polster und die populärwissenschaftlich oft als „kleinsten Baum der Welt“ (nicht ganz korrekt, dafür aber einprägsam) bezeichnete Netz-Weide (Salix reticulata), ein bodennaher Spalierstrauch.
Nach vielen Erlebnissen, vermittelten Inhalten und neu entstandenen Freundschaften wird es schließlich Zeit, den diesjährigen Naturführerkurs feierlich „am Gipfel“ zu beenden. Dazu lassen wir auf einer natürlichen Plattform mit Blick auf ins Gletschervorfeld hinabrauschende Wasserfälle noch einmal völlige Stille walten – ein bewegender Moment an einem atemberaubenden Ort. In der hochalpinen Abschlussrunde wird noch gesagt, was gesagt werden will, und gefühlt, was gefühlt werden muss. Ich bedanke mich bei allen KursteilnehmerInnen an dieser Stelle nochmal für die schöne Zeit miteinander und den angenehmen Ablauf – in der festen Überzeugung, dass der Samen der Naturbegeisterung bei euch auf ein fruchtbares Substrat gefallen ist!