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Lebensraum Wald

Ein Wald voller Überraschungen – Naturführer-Jubiläumskurs im Naturpark Zillertal

Das zweite Modul des Tiroler NaturführerInnen Jubiläumskurses steht ganz im Zeichen des Waldes. Dazu findet sich die Gruppe Mitte Mai in Mayrhofen im Zillertal ein, um die tieferen Lagen des Hochgebirgsnaturpark Zillertaler Alpen zu erkunden. Während weiter oben die Zirben-Waldgrenzgesellschaften und Fichten-Bergwälder aufgrund der späten Wintereinbrüche von einer dicken Schneedecke bedeckt sind, ist im Mayrhofener Scheulingwald und auf der Finkenberger Glocke der Frühling schon eingetroffen. Beide Standorte zeichnen sich durch eine für die Gegend überdurchschnittliche Artenvielfalt aus. Der Scheulingwald wird aufgrund der unmittelbaren Ortsnähe von Einheimischen und Touristen intensiv als Erholungsraum genutzt. Auf der Glocke hingegen geht es, insbesondere außerhalb der touristischen Hochzeiten, ruhig zu – ein kleines Stück Naturwald zum genießen und erforschen, eingebettet in eine touristisch, landwirtschaftlich und gewerblich intensiv genutzte Umgebung.

Kuriose Verwachsung – Lindenkunst auf der Glocke.

Totholz ist ein essentieller Bestandteil naturnaher Wälder.

 

 

 

 

 

 

 

 

Kein Lebensraum eignet sich so gut zur Verdeutlichung und direkten Beobachtung der Kreisläufe des Lebens wie der Wald. Auf engstem Raum treffen hier Geburt und Tod, Wachstum und Sterben, Zersetzung und Erneuerung aufeinander. Pilze spielen eine bedeutende Rolle in diesen Stoff- und Energiekreisläufen. Während wenige bekannte Speisepilze wie Steinpilz und Pfifferling sich großer Bekanntheit erfreuen, und einige Arten wie der giftige Fliegenpilz oder der potentiell tödliche Grüne Knollenblätterpilz als Kuriositäten bekannt sind, führen die meisten Arten des Waldes ein Schattendasein außerhalb unserer Wahrnehmung. Mykologe (Pilzexperte) Eberhard Steiner von den Tiroler Universitätskliniken versteht es, unscheinbare und weniger auffällige Arten mit spannenden Geschichten ans Licht unserer Aufmerksamkeit zu holen. Bei der nachmittäglichen Exkursion wird schnell klar, dass sich die “Pilzzeit” nicht nur auf die Perioden im Sommer und Herbst beschränkt, in denen Schwammerlklauber traditionell auf Suche gehen.

Davor aber gibt es noch eine ausführliche Einführung in die faszinierende Welt der Pilze und Flechten. Mit allerlei Anschauungsmaterial und noch mehr Geschichten im Gepäck sorgt Eberhard für so manchen Aha-Moment. Wurden vor einigen Jahrzehnten Pilze in der Biologie noch als Pflanzen ohne Chlorophyll (Blattgrün) kategorisiert, bilden sie mittlerweile neben den Tieren und Pflanzen ein eigenes drittes Reich innerhalb der sogenannten eukaryotischen Lebensformen (darunter versteht man Lebewesen mit einem echten Zellkern, im Unterschied zu den prokaryotischen Bakterien und Archeen). Die Verwandtschaft mit den Tieren ist sogar enger als jene mit den Pflanzen. Viele Eigenschaften teilen sie mit ersteren (Ernährung durch organische Nährstoffe ihrer Umgebung, Glykogen als Speicherstoff), andere wiederum mit Pflanzen (Vorhandensein von Zellwänden und Vakuolen). Außerdem erfahren die TeilnehmerInnen Grundlagen zur Lebensweise, Vermehrung, Nutzung und kulturgeschichtlichen Bedeutung von Pilzen. Immer wieder werden angemessene Antworten auf die bei Pilzexkursionen am häufigsten auftauchenden Fragen seitens interessierter Laien diskutiert.

Eberhard Steiner (links) hat viele Pilzgeschichten auf Lager.

Einführung mit Anschauungsexemplaren

 

 

 

 

 

 

 

 

Optisch und auch haptisch beeindruckend sind die Baumpilze, die Eberhard als Anschauungsmaterial mitgebracht hat. Der bekannte, aber bei uns recht seltene Zunderschwamm (Fomes fomentarius) ist auf geschwächten Buchen- oder Birkenstämmen zu finden, sowie zusammen mit dem Birkenporling (Fomitopsis betulina) in Ötzis Transalp-Gepäck. Der häufigere, aber nicht minder beeindruckende Rotrandige Baumschwamm oder Fichtenporling (Fomitopsis pinicola) begegnet uns später während der Exkursion im Scheulingwald wieder. Spannende Geschichten zum giftigen Satans-Röhrling (Rubroboletus satanas), dem als Apothekerpilz bekannten Lärchenbaumschwamm (Laricifomes officinalis) und vielen anderen Arten runden den Einführungsvortrag ab und machen Lust auf mehr im Freien.

Bei der nachmittäglichen Exkursion in den nahe gelegenen Scheulingwald halten wir auch nach Flechten Ausschau. Diese Bezeichnung steht für eine symbiotische Lebensgemeinschaft zwischen einem oder mehreren Pilzen und einer oder mehreren Photosynthese betreibenden Partnerarten (diese Rolle nehmen Grünalgen oder Cyanobakterien/Blaualgen ein). In der biologischen Systematik werden sie zwar im Reich der Pilze geführt, nehmen dort aber als eigene Lebensform eine Sonderstellung ein. Der Pilz bildet mit einem Geflecht aus Pilzfäden (Hyphen) den Körper der Flechte, innerhalb dessen die Photosynthese betreibenden und somit den Pilz miternährenden Algenpartner vergleichsweise gute Lebensbedingungen vorfinden – eine klare Win-Win-Situation. Ihr spezieller Aufbau und Stoffwechsel ermöglicht es Flechten, Lebensräume und Kleinstandorte mit schwierigen Bedingungen zu besiedeln und lange Zeit unter Extrembedingungen zu überdauern (im Versuch überlebten sie sogar zwei Wochen im All!). Gleich zu Beginn treffen wir auf eine Reihe verschiedener, schwer zu bestimmender Krustenflechten auf dem Stamm eines Bergahorns. Leichter zu unterscheiden ist die sogenannte Schriftflechte (Graphis scripta), deren Fruchtkörper an Schriftzeichen erinnern. Zur selben Wuchsform-Gruppe gehört auch die bekanntere, auf nacktem Gestein wachsende Landkartenflechte (Rhizocarpon geographicum). Später stoßen wir auf Vertreter des Formtyps Blattflechte: die Hundsflechte (Peltigera canina), die Sulcatflechte (Parmelia sulcata) sowie die Gewöhnliche Gelbflechte oder Gelbe Schüsselflechte (Xanthoria parietina). Eine häufige Strauchflechte, mit allerdings irreführendem Namen, ist das Baummoos (Pseudevernia furfuracea). Mit am bekanntesten in letzterer Gruppe sind wohl die Baumbärte der Gattung Usnea und die Rentierflechten der Gattung Cladonia.

Hundsflechte und Nadel-Schwindling

Sulcatflechte und Moos teilen sich einen Ast

 

 

 

 

 

 

 

Beschränkt man seine Suche nicht auf Speisepilze, kann die Ausbeute auch im zeitigen Frühjahr bereits reichhaltig ausfallen. Die zu den Schlauchpilzen gehörende Langstielige Ahorn-Holzkeule (Xylaria longipes) hinterlässt ein charakteristisches, als Giraffenholz bekanntes Muster im befallenen Holz. Zur selben Verwandschaft gehören die Kohlenbeeren (Hypoxylon sp.). Die flächig wachsenden Zystidenrindenpilze (Peniophora sp.) hingegen sind für Laien auf den ersten Blick kaum von Flechten zu unterscheiden. Ein winziger, aber oft in Fichtenwäldern massenhaft vorkommender Ständerpilz ist der Nadel-Schwindling (Gymnopus perforans), der auf Fichtennadeln in der Streu wächst. Den selben Lebensraum besiedelt auch der giftige Rettich-Helmling (Mycena pura), der nach seinem auffälligen Geruch benannt ist. Eine Kuriosität zum Abschluss finden wir mit einem Drüsling der Gattung Exidia. In trockenem Zustand fast unsichtbar, quillt diese so genannte „Hexenbutter“ bei feuchter Witterung gallertartig auf.

Die sogenannte Hexenbutter quillt bei feuchter Witterung auf

Der Rettichhelmling gehört nicht auf den Speiseplan!

 

 

 

 

 

 

 

 

Am späten Nachmittag begrüßt uns Willi Seifert, Geschätsführer des Hochgebirgs-Naturpark Zillertaler Alpen, auf ausgesprochen herzliche Art im Naturparkhaus in Ginzling. Seine Begeisterung für die Arbeit und das Gebiet, dem sie gilt, ist während des Vortrags zu Geschichte, Besonderheiten, Projekten sowie aktuellen Herausforderungen und Zielen des Naturparks zu spüren. Bevor er die KursteilnehmerInnen entlässt, damit sie auf eigene Faust die permanente Naturparkausstellung besichtigen und das dazugehörige Quiz lösen können, gibt er der Gruppe noch Motivation für den nächsten Tag mit: Eine Wiederbestätigung des Smaragdgrünen Regenwurms (Allolobophora smaragdina) im Geschützten Landschaftsteil Glocke würde ihn besonders freuen, und wer den Fund fotografisch dokumentiert und bei ihm melde, dürfe sich auf ein Geschenk freuen.

Infos zu den Lebensräumen im Naturpark in der Dauerausstellung

Willi Seifert begrüßt die Gruppe im Naturparkhaus

 

 

 

 

 

 

 

 

Jene Glocke in Finkenberg, eine durch die 70 Meter tiefe Tuxbachschluch von der Ortschaft abgetrennte inselartige Geländeform, ist das Ziel der Exkursion am zweiten Tag. Sie ist der ideale Standort für die Aktivität, zu der uns Erwin Meyer, Professor der Universität Innsbruck in Ruhestand, einlädt: Mit einfachster Ausrüstung machen wir uns daran, die dicke Laubstreu des Buchen-Mischwaldes genauer unter die Lupe zu nehmen. Bevor aber das große Suchen losgehen darf, wird die Geduld der TeilnehmerInnen noch etwas auf die Folter gespannt. Damit später eine eigenständige Zuordnung der eigenen Funde zu den auf der natopia-Bodentiere-Plane abgebildeten Tiergruppen möglich ist, müssen zuerst die Grundbegriffe geklärt und die wichtigsten Kategorien abgesteckt werden. Von Fadenwürmern, Schnecken, Zweiflüglerlarven über die verschiedenen Insektengruppen bis hin zu Spinnentieren und Tausendfüßern reichen Erwins Ausführungen, aber bei einem Thema ist seine Begeisterung nicht mehr zu bremsen. Wenn es um Lebensweise, Vermehrung und ökologische Bedeutung der Regenwürmer geht, strahlt er noch eine Stufe heller. Wie passend, dass bei der Suchaktion eine motivierte Teilnehmerin auf eine der biologischen Besonderheiten dieses Standortes stößt: der Smaragdgrüne Regenwurm (Allolobophora smaragdina) lässt durch seine namensgebende Färbung vom ersten Anblick an keine Zweifel offen.

Experte Erwin Meyer mit Kursteilnehmerin

Er ist es wirklich! Gestatten, Smaragdgrüner Regenwurm (Allolobophora smaragdina)

Es sind nicht nur die oft zitierten Regenwürmer, die durch ihre Lebensweise viel zur Funktion und Gesundheit der meisten terrestrischen Lebensräume beitragen und auch für den landwirtschaftstreibenden Menschen von enormer Bedeutung sind. Eine ganze Schar von Organismengruppen in der Streu und im Boden ist zu unterschiedlichen Zeitpunkten am Abbau der anfallenden toten organischen Substanz beteiligt. Wir finden zum Beispiel verschiedene Vertreter der Gruppe der Tausendfüßer (Unterstamm Myriapoda): einen pflanzenfressenden Schnurfüßer (Ordnung Julida), der mit seinen zwei Beinpaaren pro Körpersegment zu den Doppelfüßern (Ordnung Diplopoda) gehört. Dort einzuordnen sind auch die Saftkugler (Ordnung Glomerida), die sich bei Gefahr zu einer kleinen harten Kugel formen können – der erste Teil ihres Namens hingegen kommt von dem leicht giftigen und klebrigen Saft, mit dem sie sich wehren. Wir haben die Möglichkeit zum direkten Vergleich mit Asseln (Ordnung Isopoda). Diese sehen auf den ersten Blick ähnlich aus, haben aber eine ganz andere Verwandtschaft – als landlebende Krebstiere sind sie an sehr hohe Luftfeuchtigkeit gebunden und finden sich daher niemals im ungeschützten Sonnenlicht. Auch die auffälligen räuberischen Vertreter der Tausendfüßer bleiben unserem Forscherblick nicht verborgen: Steinläufer (Lithobius sp.) und Erdläufer (Familie Geophilidae), beide Hundertfüßer (Ordnung Chilopoda), gehen auf aktive Beutejagd und überwältigen die Beute mit ihrem Gift. Ein Insidertipp für GartenliebhaberInnen: das Vorhandensein von Erdläufern deutet auf einen fortgeschrittenen Zersetzungsgrad und zeigt somit an an, dass der Kompost bereit zur Anwendung ist.

Wo sich organisches Material langsam zersetzen darf, sind Bodentiere nicht weit

Bodentiere des Waldes mit Hilfe einer Bestimmungsplane zuordnen

 

 

 

 

 

 

 

 

In der artenreichen Klasse der Insekten bilden wiederum die Käfer (Coleoptera) jene Ordnung, welche die weltweit größte Artenvielfalt (350.000 beschriebene Arten!) aufweist. Wir stoßen unter anderem auf einen Laufkäfer (Carabus sp.), einen Rüsselkäfer (Familie Curculionidae) und einen Kurzflügler (Familie Staphylinidae). Eine Größenordnung kleiner, aber nicht weniger faszinierend, sind die winzigen Springschwänze (Klasse Collembola), die als Indikator für eine lockere Bodenstruktur gelten. Genau so wie die Felsenspringer (Archaeognatha) gehören sie zu den ursprünglicheren Entwicklungslinien unter den Insekten („Ur-Insekten“). Die Larven der Schnellkäfer (Familie Elateridae) werden auch „Drahtwurm“ genannt: der Saatschnellkäfer (Agriotes lineatus) kann bedeutende Ausfälle im Getreide- oder Kartoffelanbau bewirken.

 

Andreas Strudl von den Österreichischen Bundesforsten führt uns zu Beginn des Nachmittags kurz in die Geschichte und Tätigkeitsbereiche seines Arbeitgebers ein, bevor er allerhand Anschauungsmaterial aus dem Kofferraum holt. Wir beginnen mit den Unterscheidungsmerkmalen, Standortansprüchen und Verbreitung der wichtigsten heimischen Baumarten, während Baumscheiben und Zweige im Kreis herum gereicht werden. Mit dabei sind auch einige Demonstrationsobjekte für Schadbilder der wichtigsten Forstschädlinge. Zu den Borkenkäfern (Unterfamilie Scolytinae, Familie der Rüsselkäfer) gehört der berüchtigte Buchdrucker oder Großer achtzähniger Fichtenborkenkäfer (Ips typographus), der seine Brutsysteme in der Rinde der Wirtsbäume anlegt und dadurch großen forstwirtschaftlichen Schaden verursachen kann. Aus ästhetischer Sicht sind die Brutgänge der Larven allerdings sehr attraktiv. Ebenfalls Rindenbrüter sind der Kupferstecher (Pityogenes chalcographus), auch Sechszähniger Fichtenborkenkäfer genannt, und der Eschenbastkäfer (Hylesinus sp.). Kurz angesprochen werden auch Wildschäden sowie von verschiedenen Ameisen bewirkte Schadbilder. Die intensive historische Nutzung vieler Wälder in Tirol hat auch ihre Spuren hinterlassen. Da früher nicht nur Holz, sondern auch landwirtschaftliche Ressourcen (Laub und Nadeln als Einstreu, Futter) aus dem Ökosystem entnommen wurden, war der Stoffkreislauf dieser Wälder über Jahrhunderte gestört. Die langfristigen Folgen dieser Bodendegradation wirken sich bis heute auf die Baumzuwachsraten und die Zusammensetzung der Vegetation im Unterwuchs aus. Vor diesem Hintergrund ist auch die Einführung des Österreichischen Fortsgesetzes zu betrachten.

Optisch schön, forstwirtschaftlich verheerend: Schadbild des Buchdruckers

Andreas Strudl von den Österreichischen Bundesforsten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei der Exkursion um die Glocke stechen uns als erstes Sämlinge verschiedener Laubbaumarten ins Auge. In der Forstwirtschaft nennt man diese spontan aufkommenden Pflanzen „Wildlinge“. Ein Anlass, um über Naturverjüngung in genutzten und ungenutzten Wäldern zu sprechen, sowie über verschiedene Arten der Schlägerung und Z-Bäume (Zukunftsbäume). Wir lernen, was uns die verschiedenen im Unterwuchs des Waldes vorkommenden Arten und Pflanzengesellschaften über Standorteigenschaften und Bewirtschaftungsgeschichte verraten können. Auch die Baumartenvielfalt im Geschützten Landschaftsteil Glocke ist für einen inneralpinen Standort beeindruckend. In weiten Bereichen bestimmt die Buche oder Rotbuche (Fagus sylvatica) das Bild (untypisch für Zentralalpen), doch wir finden auch viele andere heimische Laub- und Nadelbaumarten (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Fichte (Picea abies), Winterlinde (Tilia cordata), Sommerlinde (Tilia platyphyllos), Gemeine Esche (Fraxinus excelsior), Bergahorn (Acer pseudoplatanus), Vogelkirsche (Prunus avium), Hänge-Birke (Betula pendula), Weiß-Tanne (Abies alba), Grau-Erle (Alnus incana), Vogelbeere oder Eberesche (Sorbus aucuparia), Lärche (Larix decidua), Bergulme (Ulmus glabra), Weiden (Salix sp.). In der Strauchschicht sind unter anderem Haselnuss (Corylus avellana), Rote Heckenkirsche (Lonicera xylosteum), Schwarzer Holunder (Sambucus nigra) und Berberitze (Berberis vulgaris). Einen schönen violetten Farbtupfer zum Abschluss der Runde bescheren uns die ersten offenen Blüten der Alpen-Waldrebe (Clematis alpina).

Die Heidelbeere zeigt saure Bedingungen an

Buchen-Mischwald auf der Glocke

 

 

 

 

 

 

 

Johannes Rüdisser vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck hat neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit auch sehr weitläufige Erfahrungen im Bereich der Umweltbildung und Naturvermittlung gemacht, von Schulklassenführungen mit natopia bis hin zur Entwicklung und Begleitung neuer Umweltbildungsprojekte (u.a. „Viel-Falter“). Am Samstag Vormittag erwartet er die Gruppe im Scheulingwald in Mayrhofen, um Impulse für die naturpädagogische Arbeit mit Gruppen von Kindern und Erwachsenen zu bieten. Es handelt sich dabei um erlebnis- und erfahrungsorientierte Zugänge, bei denen die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten in ein breites Sammelsurium von Methoden auf verschiedenen Ebenen eingebunden ist. Die TeilnehmerInnen werden eingeladen, sich auf die Aktionen einzulassen, sie im Probedurchlauf zu genießen und von der Möglichkeit dieser „Innenperspektive“ zu profitieren – eine wichtige Basis für jene, die ähnliche Methoden in ihrer Arbeit mit Gruppen anzuwenden gedenken. Johannes betont auch, dass sich die Eignung und Notwendigkeit von Natur- und Waldpädagogik gewiss nicht auf Kinder als Zielgruppe beschränkt: Der Tag wird ihm Recht geben! Es wird gerannt, gespielt, gerochen, gelauscht, gebastelt und gelacht… und dazwischen gibt es immer wieder Gelegenheit, das Erlebte einzuordnen und zu reflektieren.

Ein Mandala aus den gesammelten Naturgegenständentieren.

Johannes Rüdisser (links oben) stellt das Waldmemory vor

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Vormittag steht ganz im Zeichen der Sinneswahrnehmung. Nach einer Tiernamenrunde und einem Namenswettlauf zur Aufwärmung gilt es beim Waldmemory, sich möglichst viele Naturgegenstände zu merken und in der nahen Umgebung wiederzufinden. Diese werden anschließend besprochen und von der Gruppe zu einem Mandala aufgelegt – ein biologisch abbaubares Naturkunstwerk, im Gegensatz zu den hinter den Felsen entsorgten Dosen und Flaschen, die leider die Ästhetik des Naherholungsgebietes etwas trüben. Doch eines der Ziele von Johannes ist es erlebbar zu machen, dass ein wertvolles Naturerlebnis nicht nur in einem durch und durch idyllischen Naturjuwel stattfinden kann: der Zauber beginnt gleich hinter der Haustür, am Waldrand oder neben der Schule. Manchmal müssen wir jedoch erst die Perspektive wechseln oder die Sinne schärfen.

Blind ertasten und wiederfinden – nicht nur für Kinder spannend!

Konzentrierte Entspannung bei der Geräuschelandkarte

 

 

 

 

 

 

 

 

Genau darum geht es bei der Geräuschelandkarte. Während einer meditativ anmutenden Ruhephase werden alle wahrgenommenen Geräusche auf einem Stück Papier vermerkt – eine Einladung, einmal genauer als üblich hinzuhören. Außerdem eine ideale Vorbereitung für die nächste Aktivität, bei der eine Person im Zweierteam einen mit verbundenen Augen ertasteten Baum- oder Felsen im Anschluss mit offenen Augen unter vielen wiedererkennen soll. Das Erlebte wird in der Gruppe reflektiert und die Eignung verschiedener Methoden in unterschiedlichen Kontexten diskutiert. Am Ende des Vormittags wird das Konzept „Flow Learning“ des US-amerikanischen Naturpädagogik-Pioniers Joseph Cornell vorgestellt – es bildete das konzeptuelle Gerippe hinter der durchdachten Abfolge von Methoden, die den TeilnehmerInnen einen kurzweiligen und doch bereichernden Vormittag boten.

Genau hinschauen beim Tarnpfad

„Welcher Schmetterling bin ich?“

 

 

 

 

 

 

 

Der Nachmittag beginnt im Zeichen der Schmetterlinge. Johannes stellt das Projekt „Viel-Falter“ vor und lädt zu einem einfachen Spiel daraus ein, bei dem spielerisch die wichtigsten heimischen Tagfalterarten vermittelt werden. Der anschließende Tarnpfad erfordert höchste Konzentration, um so viele getarnte Kunststofftierchen wie möglich in der Vegetation zu erspähen. Die TeilnehmerInnen werden in einer Reihe von Naturerlebnisspielen in Amseln, Eichhörnchen, Fledermäuse und Nachtfalter verwandelt, bevor eine meditative Fantasie-Zeitreise und die kreative Farbpalette den Tag passend abrunden. Die KursteilnehmerInnen nehmen viele Anregungen für die Bereicherung der eigenen Tätigkeit mit.

Ruhiger Abschluss mit der natopia-Farbpalette

Viel Spaß beim Fledermausspiel!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Sonntag Vormittag ist unser Ausflugsziel wieder die Glocke in Finkenberg. Botaniker Christian Anich vom Tiroler Landesmuseum lenkt unsere Aufmerksamkeit dieses Mal aber auf eine Pflanzengruppe, die oft stiefmütterlich und verallgemeinernd behandelt wird: Erst auf den zweiten Blick und mit Hilfe einiger wichtiger Hinweise vom Experten in Bezug auf Unterscheidungsmerkmale tritt in den grünen Moospolstern eine Vielfalt zutage, die den meisten bisher verborgen blieb. Aufgrund ihrer Lebensweise sind Moose sehr stresstolerant und können schwierige Standorte, etwa mit angespanntem Wasserhaushalt, besiedeln. Wir besprechen die Untergruppen (Laubmoose, Lebermoose, Hornmoose) sowie Unterschiede zu den Samenpflanzen in Aufbau und Vermehrung. Die Vielfalt der von Christian mitgebrachten und von den TeilnehmerInnen aus dem Wald zusammengetragenen Moose ist faszinierend, jedoch ist es auf Anhieb gar nicht leicht, die vielen neu erworbenen Arten sicher und richtig zu bestimmen und wiederzufinden.

Vergleich verschiedener Moosarten

Experte Christian Anich in seinem Element

 

 

 

 

 

 

 

So einigen wir uns auf ein „Best of Moos“ und stellen eine Liste der häufigsten und bedeutendsten heimischen Arten auf, die auch Laien gut wiedererkennen können. Das Torfmoos (Sphagnum sp.) seine kulturgeschichtliche und ökologische Bedeutung sind uns bereits bei Modul 1 im Hochmoor untergekommen. Aus dem Haarmützenmoos (Polytrichum commune) wurden früher sogar als Schiffstaue verwendete Mooszöpfe geflochten. Das Etagenmoos (Hylocomium splendens) macht mit seinen stockwerkartigen Jahrestrieben seinem Namen alle Ehre. Die Schlafmoose der Gattung Hypnum besiedeln oft mattenartig die Basis von Baumstämmen und laden zum Verweilen ein. Der an lichteren Standorten vorkommende Große Runzelbruder (Rhytidiadelphus triquetrus) hingegen raschelt beim Betreten und ist daher auch als Raschelmoos bekannt. Zur Gattung der Kammmoose gehört unter anderem das Straußenfedermoos (Ctenidium molluscum). Die Gabelzahnmoose (Dicranum sp.) bilden in der Regel große Polster, während manche Lebermoose (Abteilung Marchantiophyta) vom Habitus her eher an Flechten erinnern. Ihr Name kommt aus der alten Tradition der Signaturenlehre („Ähnliches heilt Ähnliches“), Marchantia sp. wurde etwa bei Leberleiden eingesetzt.

So viel los im Moos!

Christian kann sich vor lauter Nachfragen kaum wehren

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Bedeutung von Moosen in der Medizin ist heute als gering einzustufen. Umso wertvoller ist ihre ökologische Rolle als Pionierbesiedler. Von unmittelbarer Bedeutung für den Menschen: Durch ihre ausgeprägte Fähigkeit zur Wasserspeicherung bilden sie einen natürlichen Hochwasserschutz und können sowohl Niederschlags- als auch Temperaturextreme abpuffern.

Am Nachmittag mit Forstkundler und Botaniker Manfred Hotter gilt die Aufmerksamkeit wieder in erster Linie den so genannten höheren Pflanzen und ihrer Ökologie. In einer Einführung erfahren wir, welche Faktoren dazu führen, dass sich unter natürlichen Bedingungen je nach Standort spezifische Waldgesellschaften ausbilden. Diese kennzeichnen sich jeweils durch eine typische Baumarten- und Unterwuchszusammensetzung. Was die klimatischen Wuchsgebiete betrifft, gibt es die grobe Unterscheidung zwischen den niederschlagsreicheren Randalpen und den trockeneren inneralpinen Zonen mit größeren Temperaturschwankungen. Diese großräumigen Klimafaktoren bedingen die potentielle natürliche Verbreitung der Hauptbaumarten in Tirol. Der aktuelle Flächenanteil ist natürlich stark von der hsitorischen und aktuellen forstwirtschaftlichen Nutzung beeinflusst (Fichte 58%, Lärche 7%, Buche 5%, Kiefer 4%, Tanne 3%, Zirbe 2%). Insgesamt kommt Tirol auf 9 heimische Nadelbaum- und 37 Laubbaumarten.

Der geologische Untergrund eines Standorts wirkt sich auf den Nährstoffhaushalt des Bodens und somit auf die Zusammensetzung der Vegetation aus. Manche Arten sind an kalkhaltigen Untergrund angepasst, andere gedeihen besser auf Silikat. Die Generalisten kommen mit beidem zurecht. Verallgemeinernd kann jedoch gesagt werden, dass Kalkstandorte oft besonders artenreiche Pflanzengesellschaften beherbergen. Wir haben die Gelegenheit, einen geologischen Übergang unter unseren Füßen zu beobachten. Links des Weges ragt ein großer Gneis-Block aus der Erde, und rechts davon fällt der Hochstegener Marmor (teilweise mit Hornsteineinschlüssen) auf, der eine geologische Besonderheit auf der Glocke darstellt. Eine Gelegenheit, den Salzsäuretest vorzuführen, bei dem calciumcarbonathaltiges Gestein sich langsam sprudelnd oberflächlich auflöst.

Salzsäuretest mit Manfred Hotter

Altersbestimmung durch Bohrkernentnahme

 

 

 

 

 

 

 

Der Wasserhaushalt ist einer der wichtigsten Faktoren für die sogennante Wüchsigkeit an einem Waldstandort. Neben dem Großklima hängt dieser von der Exposition, der Geländeform, dem geologischen Untergrund und dem aktuellen Bewuchs ab. Verlustlagen sind häufiger Trockenheit ausgesetzt, während sich die konstantere Wasserversorgung in Gewinnlagen in höhere jährliche Zuwachsraten übersetzt. Die Überraschung ist groß, als Manfred zur Bohrkernentnahme an einer nicht besonders alt anmutenden Fichte einlädt und spontan die Idee einer Altersbestimmungs-Wette aufkommt: Als jüngstes Alter wird 55 Jahre geschätzt, die höchste Schätzung beläuft sich auf das Doppelte, 110. Es reicht nicht einmal, diese nochmal zu verdoppeln – die Zählung ergibt, dass die zähe Fichte schon seit etwa 240 Jahren diesen Standort bewohnt! Die extrem geringen Jahreszuwächse deuten auf schwierige Standortbedingungen und eine historische Übernutzung des ortsnahen Waldes, welche eine Verarmung des Bodennährstoffhaushalts bewirkt hat.

Die Pflanzengesellschaften des Waldbodens können uns als Indikatoren viel über die Bedingungen eines Standorts verraten. Wir treffen auf die Kalkanzeiger Wald-Bingelkraut (Mercurialis perennis), Dreiblättriger Baldrian (Valeriana tripteris) und Berg-Reitgras (Calamagrostis varia). Direkt nebenan finden wir mit Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) jedoch einen ausgesprochenen Säurezeiger und mit Sauerklee (Oxalis acetosella) und Zweiblättrigem Schattenblümchen (Maianthemum bifolium) zwei Arten, die sich gerne unter mäßig sauren Bedingungen vergesellschaften. Dieser anscheinende Widerspruch kommt dadurch zustande, dass das pH-Regime eines Bodens sowohl von unten her (Ausgangsgestein) als auch von oben her (Zusammensetzung der Streu, Abbaubedingungen) bestimmt wird. Somit kann auch ein kalkreicher Boden oberflächlich versauern. Einen Zungenbrecher gibt uns die Buchsblättrige Kreuzblume (Polygala chamaebuxus) mit auf den Weg – vielleicht sind die wissenschaftlichen Pflanzennamen doch einfacher!

Am späteren Nachmittag wird die Ausdauer der Gruppe mit Sichtungen von zwei Orchideenarten belohnt. Das Langblättrige Waldvögelein (Cephalanthera longifolia) imponiert mit vielen kleinen weißen Blüten, während die Vogel-Nestwurz (Neottia nidus-avis) als nahezu blattgrünloser Vollschmarotzer farblich mit der Laubstreu verschmilzt. Als letzten Programmpunkt des Tages untersuchen wir ein Bodenprofil auf Gneisuntergrund, das sich an einer Wegkante gut einsehen lässt. Eine klare farbliche Horizontgliederung ist bei diesem typischen kargen Gebirgsbodentyp namens Podsol erkennbar. Die Huminsäuren der obersten Bodenschichten bewirken eine Auswaschung im darunter liegenden Bleichhorizont. Der Anreicherungshorizont noch weiter unten erhält durch den hohen Eisenanteil eine kräftig rote Farbe. Ähnlich geht es auch manchen TeilnehmerInnen am Ende der intensiven vier Tage im Zillertal: wissensmäßig angereichert, aber energiemäßig auch ein bisschen ausgewaschen!

Auf kargen Podsol-Gebirgsböden behauptet sich oft die Heidelbeere

Ein Vögelein steht im Walde…

 

 

 

 

 

 

 

 

Danke, dass wir im Hochgebirgs-Naturpark Zillertaler Alpen zu Gast sein durften. Danke für interessierte Menschen und motivierte Referenten. Danke an das Wetter, für die feine Bühne.

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